Babiš übersteht Misstrauensvotum
Nach einer 17-stündigen Parlamentsdebatte hat der tschechische Premier Andrej Babiš am Donnerstagmorgen ein Misstrauensvotum knapp überstanden. Fünf Oppositionsparteien hatten den Antrag gestellt, nachdem Tschechien die größten Proteste seit 30 Jahren gegen den Multimilliardär und Regierungschef gesehen hatte, dem Korruption vorgeworfen wird. Wieso konnte die Opposition sich nicht durchsetzen?
Moral ist Mangelware
Wie konnte Premier Babiš, trotz der größten Proteste seit dem Ende des Kommunismus in Tschechien, das Misstrauensvotum überstehen, fragt Večernji list:
„Ein Faktor ist das Mandat der Parlamentarier. Sie wurden erst 2017 gewählt und würden das Parlament eventuell schon wieder auflösen müssen, hätte man Babiš das Vertrauen entzogen, was für viele den Verlust der sicheren Parlamentarier-Bezüge bedeuten würde. ... Entweder sind den Menschen moralische Fragen nicht mehr so wichtig wie einst oder es hat sich alles verändert, auch dass in der Öffentlichkeit die Schmutzwäsche der Politiker zum Vorschein kommt und Wähler einfach sagen 'Die sind halt wie wir'. Oder es ist nur noch wichtig, dass es uns wirtschaftlich besser geht.“
Für das kleinere Übel gestimmt
Das gescheiterte Misstrauensvotum gegen Tschechiens Regierungschef Babiš hat Schlimmeres verhindert, glaubt Der Standard:
„Hintergrund ist die wahrlich triste Lage der Sozialdemokraten (CSSD) ... [Die Partei] verheddert sich in Flügelkämpfen und ist im Mai sogar aus dem Europäischen Parlament geflogen. Beim Misstrauensvotum hatte sie nun die Wahl zwischen einer schlechten und einer noch schlechteren Option. Sie wählte Variante eins und hielt Babiš an der Macht, um selbst im Spiel zu bleiben. Variante zwei hätte … bedeutet, dass Babiš andere Partner gesucht hätte. … Ein Industriemagnat an der Spitze einer Regierung, die von Kommunisten und Rechtsextremen toleriert wird, wäre nicht nur aus Sicht der CSSD fatal gewesen, sondern für Tschechien insgesamt - und für Europa.“
Die Mehrheit steht weiter hinter dem Premier
Trotz der Massendemonstrationen und der Misstrauensdebatte im Parlament scheint sich das Meinungsbild der Tschechen über ihren Premier nicht zu bewegen, konstatiert Feuilletonistin Petruška Šustrová in Lidové noviny:
„Natürlich ist es nicht gut, wenn die Regierung von einem Menschen geführt wird, der solch scharfen Widerspruch hervorruft. Mir geht es aber nicht um Babiš, sondern um seine Wähler. Soll man sie aus dem Volk ausschließen? Besser wäre es wohl, man würde sie überzeugen, einen zu wählen, der das Land weniger spaltet. Mit stundenlangen im Fernsehen übertragenen Parlamentsdebatten gelingt das aber nicht. Da erscheinen die Demonstrationen schon sinnvoller. Trotzdem habe ich nicht den Eindruck, dass sich in den Meinungsumfragen irgendetwas verändern wird.“