Wie Spanien doch noch eine Regierung bekommt
Nach der gescheiterten Regierungsbildung in Spanien bleibt Sozialisten-Chef Pedro Sánchez bis September Zeit, bevor eine Neuwahl ausgerufen werden muss. Seine Partei hatte sich mit Podemos nicht über die Verteilung der Ministerien einigen können und so bekam Sánchez nicht die nötigen Stimmen. Kommentatoren hoffen auf Spielraum für Kompromisse.
Was Portugal uns voraus hat
Angesichts der schwierigen Regierungsbildung in Spanien fordern viele die Nachahmung der portugiesischen sozialistischen Minderheitsregierung mit stabiler Unterstützung der Linksparteien. Das ist aber nicht so einfach, bemerkt El País:
„Spaniens Wahlergebnis unterscheidet sich von dem in Portugal, in einem Punkt gibt es aber Übereinstimmungen: Hält die Linke nicht zusammen, kann sie unmöglich regieren. ... Bei der gescheiterten Abstimmung zum Regierungschef hat das Vorbild Portugal wenig genützt. Es ist sogar gut möglich, dass die Portugiesen [nach der Wahl im Oktober] vor uns eine Regierung bilden. ... Es gibt viele Gründe, die das Nachahmen der Nachbarn bei uns schwierig machen, wie zum Beispiel den Separatismus. Aber einiges sollten wir kopieren: die Geduld (einen Pakt mit mehreren Partnern zu finden), die Ausdauer (den Pakt vier Jahre lang durchzuhalten) und die fehlende Selbstverliebtheit der Politiker.“
Sturheit führt in die Sackgasse
Wer seiner Meinung nach bei der Regierungsbildung wirklich konstruktiv vorgeht und wer nicht, erläutert Joan Canadell, Präsident der Handelskammer von Barcelona und Anhänger der separatistischen Partei Crida Nacional per la República, in Le Soir:
„Die negative Haltung der Regierung von Pedro Sánchez, die nicht einmal einen Dialog mit dem katalanischen Regionalpräsidenten Quim Torra hat aufnehmen wollen, macht jegliches Stabilitätsszenario unmöglich und kontrastiert mit den wiederholten Aufrufen der katalanischen Unabhängigkeitsparteien zum Dialog. Ihr Bemühen, die Grundlagen für eine stimmige Lösung zu schaffen, zeugen von echtem Verantwortungsbewusstsein. Das Scheitern der Wahl eines spanischen Regierungschefs vergangene Woche führt uns in einen Konflikt, von dem wir wissen, wie und wann er beginnt, aber nicht wann und wie er endet.“
Keine Übung im Schmieden von Koalitionen
In Spanien weiß man offenbar nicht, wie man Koalitionsverhandlungen führt, spottet ARD-Korrespondent Oliver Neuroth im Deutschlandfunk:
„Nämlich hinter verschlossenen Türen und nicht am Rednerpult oder in Fernsehinterviews. Und sie sollten auch nicht erst zwei oder drei Wochen vor den entscheidenden Abstimmungen mit ihren Gesprächen beginnen, wie im konkreten Fall. Sanchez und Iglesias haben nach der Parlamentswahl zwei wertvolle Monate verstreichen lassen. Wenn sie überhaupt ernsthaft eine Koalition angestrebt haben - was viele politische Beobachter anzweifeln. Aber woher sollten die Parteichefs auch wissen, wie es funktioniert? In Spanien gab es schließlich seit Ende der Diktatur keine Regierungskoalition. Konservative und Sozialisten haben meist mit absoluten Mehrheiten regiert - Pakte, wie sie in Deutschland seit Jahrzehnten Normalität sind, waren in Spanien nie nötig.“
Katalonien-Streit legt Spanien lahm
Die Katalonien-Frage ist schuld an der Blockade, glaubt Gazeta Wyborcza:
„Die Sozialisten orientierten sich, wie auch die gesamte Rechte, von Anfang an an Spaniens Verfassung und sprachen sich gegen das katalanische Referendum aus, während Podemos es unterstützte. Dieser heftige Streit um Katalonien hat die Parlamentsparteien derart beschäftigt, dass sich die dreitägige Debatte über die Einsetzung der Regierung gar nicht um die wesentlichen Themen drehte, die Premier Sanchez als seine Hauptziele genannt hatte: Arbeitsmarktreformen (Verbot von Junk-Verträgen), Investitionen in die technologische Revolution und die Kontrolle digitaler Plattformen, Kampf gegen die globale Erwärmung, Entwicklung neuer Energiequellen, Kampf gegen Ungleichheiten und Stärkung der Europäischen Union.“
Nicht schon wieder Neuwahlen!
Dass die beiden Parteien sich unter Druck doch noch einig werden, hofft La Vanguardia:
„Zwei Parteien der Linken enttäuschen ihre Wähler, verlängern die Unsicherheit und fügen sich selbst Wunden zu, die Zeit zum Heilen brauchen werden. ... Noch ist es nicht zu spät, den Fehler auszubügeln und so zu verhindern, dass durch Neuwahlen die vierten Parlamentswahlen seit 2015 stattfinden müssen. Das ist zu häufig und zeigt die mangelnde Kultur der Kompromisse zwischen den Parteien. Sozialisten und Unidas Podemos sollten sich vor Augen führen, dass ihnen eine Wahlwiederholung schaden würde.“
Die Linke versagt - die Rechte frohlockt
Dass Spanien auf eine Neuwahl und eine Rechtsregierung zusteuert, glaubt die Neue Zürcher Zeitung:
„Tatsächlich winkt der spanischen Rechten nach der Niederlage im April nun ein Wahlsieg im November oder schon früher. Ihre Wähler werden voraussichtlich in Scharen an die Urnen marschieren, die Woge der nationalen oder nationalistischen Begeisterung ist noch lange nicht verebbt - es gilt das Land gegen die katalanischen Separatisten zu verteidigen. Bei den enttäuschten Wählern der Linken hingegen dürfte die Stimmenthaltung verbreitet sein. Wenn die drei Rechtsparteien geschickt paktieren und ihre Kandidaturen koordinieren, können sie in einer Neuwahl zu dritt die absolute Mehrheit im Abgeordnetenhaus erobern.“