Was ist von Italiens neuer Regierung zu erwarten?
Italiens neue Regierung aus Movimento Cinque Stelle und Sozialdemokraten unter Premier Conte ist am Donnerstag vereidigt worden. Die parteilose Juristin Lamorgese übernimmt das Innenministerium von Lega-Chef Salvini, Außenminister wird künftig der Vorsitzende des Movimento Cinque Stelle Di Maio. Die Regierung ist gut für Europa, steht aber auf tönernen Füßen, schlussfolgern Kommentatoren.
Rückkehr des verlorenen Sohnes
Die Regierung in Rom ist gut für Europa, findet La Vanguardia:
„Die EU kann auf Großbritannien verzichten, ohne dabei ihre Ideale zu verraten und ihre Persönlichkeit zu verlieren. Mit Italien steht es anders. Es ist schließlich eines der sechs Unterzeichnerländer der Römischen Verträge von 1957. ... Italien hat auch sofort seinen eindeutigen Willen bezeugt, weiter zur Entwicklung Europas beizutragen: Movimento Cinque Stelle und PD haben Ursula von der Leyen unterstützt, sie haben zwei für die Beziehungen zu Brüssel wichtige Ministerposten (Europa-Angelegenheiten und Wirtschaft) mit Politikern der europafreundlichen PD besetzt und als EU-Kommissar haben sie den erfahrenen Paolo Gentilone vorgeschlagen. ... Die Rückkehr des verlorenen Sohnes ist eine gute Nachricht. ... Die Wiederbelebung der EU braucht ein Italien, das seinem europafreundlichen Charakter treu bleibt.“
Starke Koalition schwächt Rechtspopulisten
Die Leistungsfähigkeit der neuen italienischen Regierung könnte sich auf die Popularität rechtspopulistischer Parteien in ganz Europa auswirken, erklärt Népszava:
„Falls die Regierung ihre Arbeit ohne laute Debatten und erfolgreich erledigt sowie gute Wirtschaftszahlen vorweisen kann, dann mag die Popularität der Lega abnehmen - auch wenn Salvini wohl weiter Stimmung gegen die Regierung machen wird. Die Lega ist das Zugpferd des europäischen Populismus, die Partei erhielt bei der EU-Wahl die meisten Mandate unter den ideologisch ähnlichen Parteien. Es ist keine Frage, dass ein möglicher Rückgang ihrer Popularität sich wohl auch außerhalb Italiens auswirken würde.“
Ohne gemeinsame Basis
Das neue Regierungsbündnis in Italien eint zwei ungleiche Parteien, gibt das Wirtschaftsblatt Les Echos zu bedenken:
„Die neue Koalition passt augenscheinlich besser zusammen als die aus Lega und Movimento Cinque Stelle. Doch die von Beppe Grillo gegründete Partei verkörpert eine Form des Linkspopulismus. Sie ist eine Organisation, die ihre Opposition zur Elite und zur traditionellen Politik, die gerade vom Partito Democratico verkörpert wird, zu ihrem Hauptthema gemacht hat und damit die Massen mitreißen will. Dies zeigt, auf welch wackligen Beinen die Koalition steht. Zudem darf man nicht vergessen, dass Salvini sein letztes Wort noch nicht gesprochen hat. In der Zwischenzeit kann Europa zumindest einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen.“
Dem Land geht es weiter schlecht
Auch Italiens neue Regierung hat mit den alten Problemen zu kämpfen, meint Kolumnist Aldo Cazzullo in Corriere della Sera:
„Der italienischen Wirtschaft geht es weiterhin schlecht. Das Land wächst kaum - trotz des Kampfes seiner Unternehmer und seiner Arbeiter. Die mit der Globalisierung verbundene Unsicherheit, der Groll gegen den Verlust der Souveränität, die Intoleranz gegenüber der unkontrollierten Migration sind nicht einfach verschwunden. Daran hat auch Salvinis Eigentor, die mühsamen Verhandlungen zwischen PD und Movimento Cinque Stelle, deren Abstimmung auf der Plattform Rousseau und das Vertrauen, das die neue Regierung erhalten wird, nichts geändert.“
Zwei Schwache sind zusammen stark
Warum der PD und der Movimento Cinque Stelle im dritten Anlauf eine Koalition formen konnten, erklärt La Repubblica:
„Die ersten beiden Versuche scheiterten auch an dem Ungleichgewicht der Kräfte und den Erwartungen der Parteien: 2013 hatte der PD die Mehrheit und der Movimento Cinque Stelle, dabei aufzusteigen, wollte nicht als Krücke dienen. ... Umgekehrt lehnten 2018 die an der Wahlurne gedemütigten Sozialdemokarten auf Geheiß des besiegten Matteo Renzi eine Allianz ab. Jetzt hat es geklappt, weil das Gleichgewicht stimmt. Der Movimento Cinque Stelle ist nach anderthalb Jahren der Unterordnung unter die Agenda von Matteo Salvini geschwächt, der PD hat sich erholt, ist aber noch nicht für einen Wahlkampf gerüstet.“
Überleben heißt die Devise
Die neue Regierung zeigt schon jetzt kaum Zusammenhalt, beobachtet Die Presse:
„Die Gefahr einer unberechenbaren Neuwahl mit Lega-Erfolg ist vorerst gebannt, das hält diese Zweckehe wohl auch zusammen. Auch dürfte nun der Ton gegenüber der EU konzilianter werden - und Brüssel sich dafür etwas gnädiger bei Verhandlungen zeigen. Sonst wird diese bizarre Koalition vor allem damit beschäftigt sein, Tag für Tag zu überleben. Darauf deutet nicht nur das vage gehaltene provisorische Regierungsprogramm hin. Einen Vorgeschmack gaben auch die Regierungsgespräche mit ihren Posten-Feilschereien, ungelösten Streitereien bei Schlüsselthemen und dem offenen Misstrauen. ... Conte und sein neues Team werden wohl kaum in der Lage sein, dem Land die dringend benötigte Therapie zu verordnen.“
Abstimmung dubios, Ergebnis passt
Die italienische Politik lag in der Hand des Movimento Cinque Stelle und ihres dubiosen Abstimmungssystems "Rousseau", erklärt der Tages-Anzeiger:
„Auf dem Server von Rousseau sind 115.000 User eingeschrieben. Wer sie sind, weiss ausser der Partei und der Firma niemand. Sie hielten nun aber das ganze Land einen Tag lang in Atem - und sagten schliesslich Ja zu einer Koalition aus Cinque Stelle und den Sozialdemokraten. Mit 79 Prozent. Immerhin. Damit deckt sich das dubiose Prozedere mit dem Prozess der letzten Wochen, dem verfassungsmässigen Ablauf einer Regierungsfindung in einer parlamentarischen Demokratie. Giuseppe Conte sollte nun sein Kabinett bilden können. Hätte das pannenanfällige, intransparente, oft gehackte System Rousseau ihn gestoppt, wäre das eine mittlere Katastrophe gewesen - eine Verspottung des Parlaments, der Republik, der Demokratie.“
Das wird nicht lange gut gehen
Viele Pläne der neuen Koalition könnten auf der Strecke bleiben, fürchtet De Volkskrant:
„Die meisten Pläne der Regierung Conte-I wurden nicht umgesetzt, weil die Koalition schon nach 14 Monaten platzte. Und auch über die Stabilität von Conte-II gibt es von vornherein Zweifel. Mitglieder des Movimento Cinque Stelle und der PD waren nicht nur bis vor kurzem noch Erzfeinde, auch während der Koalitionsverhandlungen ging es heiß her. Noch in der vergangenen Woche drohte Di Maio mit dem Aus, sollte er kein Vizepremier werden. Die Drohung zog er erst zurück, als er von Parteigründer Beppe Grillo öffentlich zurechtgewiesen wurde.“
Ohne EU-Zugeständnisse wird Regierung scheitern
Wenn Brüssel Rom bei den Themen Asyl und Haushaltsdefizit nicht entgegenkommt, wird die Lega bald wieder an der Macht sein, warnt Financial Times:
„Salvini bleibt auch in der Opposition eine starke Kraft. Die EU hat nun die Gelegenheit, sich der tief verwurzelten Sorgen der Italiener anzunehmen, die so viele von ihnen zu Anhängern Salvinis machten. Sie sollte beim Thema Haushaltsdefizit mehr Spielraum geben und später ihre finanzpolitischen Regeln überarbeiten, um in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs mehr öffentliche Investitionen zu ermöglichen und weniger zum Sparen zu zwingen. Darüber hinaus braucht die EU ein Asylsystem, das die südlichen Mitgliedstaaten entlastet und die Rettung von Flüchtlingen auf dem Meer kontrolliert. Andernfalls ist Salvinis Rückkehr an die Macht nur eine Frage der Zeit.“
Neuer Humanismus wenig glaubwürdig
Der designierte Premier Conte hat der Regierung einen neuen Humanismus versprochen. Den muss er erst noch beweisen, findet Vladimir Zagrebelsky, ehemaliger Richter am Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in La Stampa:
„Die Migrationspolitik ist der Bereich, mit dem der neue Humanismus realisiert werden kann - oder auch nicht. Die grausamen Züge des Handelns der vorherigen Regierung Conte sind für alle offensichtlich. ... Doch die Cinque Stelle zeigen nicht die geringste Reue in Bezug auf ihre Unterstützung der von Innenminister Salvini vorgegebenen Linie. Im Gegenteil: Di Maio hat alles, was die zurückgetretene Regierung getan hat, als sein Verdienst hingestellt.“
Contes vielsagendes Schweigen
Conte versprach in seiner Rede am Donnerstag "ein neues Kapitel" für Italien. Dafür waren seine Ankündigungen aber reichlich unkonkret, findet Politologin Sofia Ventura in La Stampa:
„Conte sprach nicht über Einwanderung. Dabei war doch gerade der Umgang mit der Migration das Schlüsselthema von Salvinis Politik. Warum hat Conte nicht die Abschaffung der Sicherheitsverordnungen in Aussicht gestellt? ... Wäre dies nicht eines der Elemente gewesen, das für die immer wieder zitierte 'Neuheit' gestanden hätte? ... Die Unbestimmtheit und die Widersprüche der Rede Contes lassen daher große Zweifel aufkommen an der Regierung, die auf einer Vereinbarung zwischen einer reformistischen und einer populistischen Partei fußt.“
Nur wenige Gemeinsamkeiten
Es wird schwierig, ein gemeinsames Regierungsprogramm zu erarbeiten, prophezeit Polityka:
„Conte will die Erhöhung der Einkommensteuer stoppen. Die Demokratische Partei fordert eine pro-europäischere Außenpolitik. Beide Parteien sind sich darüber einig, dass das System der inneren Sicherheit reformiert werden muss, obwohl Di Maio und Zingaretti dies auf völlig unterschiedliche Weise umsetzen wollen. Das Tunnelprojekt für die Hochgeschwindigkeitsstrecke Turin-Lyon, das der jüngste Streitpunkt zwischen Lega und M5S gewesen ist, wird ebenfalls diskutiert. Die neue Koalition wird wohl 'unterwegs' gegründet, ihre Chefs wollen nicht alles schriftlich vereinbaren.“
Italien macht das Unmögliche möglich
Für El Mundo hat Italiens neue Regierung trotzdem Bewunderung verdient:
„Die neue Koalition ist nicht weniger befremdlich als die alte, aber die Politik bringt manchmal eigentümliche Bettgenossen zusammen: Zwei Gruppierungen, die sich bislang gegenseitig beleidigt haben und von denen eine die demokratischen Institutionen verteidigt und die andere einen radikalen Anti-Establishment-Diskurs geführt hat, sind nun zu Dialog und Zusammenarbeit bereit. ... Der neue Regierungschef muss nun eine funktionierende Regierung bilden, keine leichte Aufgabe: Sie muss die schwere Wirtschaftskrise in Italien mildern, die Demokratie erneuern und so den Bürgern das Vertrauen in die Politik zurückgeben und sie muss Italiens Ansehen im Ausland reparieren. ... Aber trotzdem: Unsere politische Klasse sollte die italienische Lektion lernen.“
Brüssel muss Rom unter die Arme greifen
Um Salvinis Rückkehr zu verhindern, muss auch die EU etwas tun, fordert Der Standard:
„Zumindest beim nächsten Haushalt muss Brüssel den Italienern etwas mehr Flexibilität zugestehen, denn wenn die Regierung aus Fünf Sternen und PD den Bürgern im Herbst als Erstes ein Blut-und-Tränen-Budget vorsetzen müsste, wäre dies ein formidables Wahlgeschenk für Salvini. Zweiter Punkt: Die EU-Partner - und zwar alle - müssen sich bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme endlich solidarisch zeigen. Das bedeutet etwa, dass Europa wieder eine eigene Seenotrettung auf die Beine stellt. Wird Italien in eine finanzielle Zwangsjacke gesteckt und mit den Bootsflüchtlingen weiterhin alleingelassen, dann wird die neue Regierung keine sechs Monate überleben. Stattdessen wird Salvini zurückkommen, stärker als je zuvor.“
Statt Aufbruch wieder das alte Lied
Die Süddeutsche Zeitung ist schon jetzt ernüchtert:
„Wichtig wäre ... eine gemeinsame, konstruktive Agenda, die dem Chef der Lega den Boden für seine Propaganda entzieht, die Polarisierung im Land beendet und nach einem Jahr wachsender internationaler Isolation die traditionellen Bande ins Ausland wieder stärkt. ... Noch aber deutet nichts darauf hin, dass PD und Cinque Stelle sich auf Inhalte besinnen, im Gegenteil: Während der Koalitionsverhandlungen stritten die beiden Parteien fast nur über Posten, das alte Lied in Italien. Wenn das so weitergeht, darf Salvini hoffen, dass sein Sommercoup am Ende doch noch aufgeht. Vielleicht schon bald und sogar noch triumphaler, als er sich das ausgemalt hatte.“
Das Spiel mit dem Feuer geht weiter
Kolumnist Massimo Franco befürchtet in Corriere della Sera weitere Spannungen:
„Und das nicht nur, weil Movimento Cinque Stelle und PD auf einem Depot von giftigen Fässern sitzen, die sich in der Vergangenheit angesammelt haben und noch entsorgt werden müssen: ein Erbe von Kontroversen und Hass, das ihre Beziehungen vergiften kann, wenn etwas schief geht. ... Sondern auch, weil die Rechte auf das Eigentor der Regierung von Matteo Salvini auf eine Art und Weise reagiert, die die Spannungen noch verstärkt und die eigenen Fehler vertuscht, statt sie zu analysieren. Doch die Spaltung der italienischen Gesellschaft ist ein gefährliches Spiel. Sie fördert den Radikalismus und reduziert Strategien auf reine Wahlpropaganda.“
Salvini hat sich ins eigene Fleisch geschnitten
Salvini hat das Nachsehen, freut sich Fabio Pontiggia, Chefredakteur von Corriere del Ticino:
„Die erste Regierung Conte, die auf dem von Luigi Di Maio und Matteo Salvini unterzeichneten Vertrag basiert, wurde vom Führer der Lega gekippt, das sollte man nicht vergessen. Nach dem Erfolg der Europawahl am 26. Mai hat dieser, gepackt von einem echten Allmachtswahnsinn, alles falsch gemacht, was er falsch machen konnte. Der Kapitän und seine Männer versuchen nun, eine Verschwörungstheorie aufzutischen, die die Lega als Opfer eines Komplotts hinstellt, das bereits in den Vormonaten von einer Vielzahl von Akteuren ausgeheckt wurde, um die souveränistische Partei auszuschalten. … Salvini hatte die Theorie von zu vielen 'Neins' [seines Koalitionspartners] erfunden. In Wirklichkeit erhielt er nur ein klares, starkes, schlüssiges Nein. Das von Giuseppe Conte vor neun Tagen im Senatssaal.“
Bauchweh bei den Sozialdemokraten
Die Wähler des PD werden auf eine harte Probe gestellt, glaubt La Repubblica:
„Schlimmstenfalls fühlen sie sich gegen ihren Willen als Krücke der Cinque Stelle benutzt, die, nachdem ihre Regierung mit den schlimmsten Rechten kläglich gescheitert ist, nun dank der Unterstützung des PD im Sattel bleibt - der von den Cinque Stelle jahrelang als perfekte Verkörperung des Verrats am Volksinteresse, des Profitdenkens und der politischen Kaste par excellence behandelt wurde. ... Bestenfalls atmen sie auf wegen der vorübergehenden Neutralisierung der abscheulichen Arroganz von Salvini. ... Aber die Erleichterung reicht nicht aus, um mit Gelassenheit oder Optimismus auf die Zukunft eines Regierungsbündnisses zu blicken, das im Kern für Streit, gegenseitige Verdächtigungen und Missverständnisse prädestiniert scheint.“
Zweckehe könnte lange halten
PD-Chef Nicola Zingaretti will ein echtes Bündnis mit den Cinque Stelle, keine kurzlebige Allianz, und das könnte die Rettung sein, glaubt La Stampa:
„Die Operation ist ehrgeizig, doch sie ruht auf einigen unbestreitbaren Fakten: Wenn man gemeinsam regiert - auf der Grundlage eines klaren Bündnisses, nicht eines Vertrags -, übernimmt man den Wählern gegenüber auch gemeinsam Verantwortung. Zweitens dürfte die Lega, wenn sie die Regierung verlässt, einen neuen Mitte-rechts-Pakt zu schmieden versuchen, um sich bei Wahlen als potenziell unschlagbares Lager zu präsentieren. Drittens würden PD und Cinque Stelle getrennt praktisch überall und mit jedem Wahlsystem verlieren. Schlussfolgerung: Der Regierungspakt mit Cinque Stelle macht Sinn, wenn er auf die Entstehung eines neuen Zweiparteiensystems vorbereitet.“
Eine Mehrheit kommt so nicht zustande
Kolumnist Antonio Polito äußert sich in Corriere della Sera skeptisch über eine mögliche Koalition aus Sozialdemokraten und Cinque Stelle:
„Um eine Regierung zu bilden, bedarf es einer politischen Einigung und einer politischen Mehrheit. ... Und heute ist es noch schwieriger, sie zustande zu bringen als vor einem Jahr. Zunächst wegen des zermürbenden Kleinkriegs der letzten Monate, der das politische Klima vergiftet hat. Dann wegen des Verschleißes vieler Protagonisten der ersten Stunde, insbesondere bei den Cinque Stelle. … Und schlussendlich wegen des unglaublichen Wirrwarrs persönlicher Manöver innerhalb der Parteien. Ein Beispiel: Im PD ist [Ex-Premier] Renzi für das Abkommen, das er vor einem Jahr verhinderte, während [der jetzige Parteichef] Zingaretti gerne darauf verzichten würde.“
Für Italien sieht es nicht gut aus
Ein echtes Dilemma identifiziert Mérce:
„Eine aus der Notwendigkeit geborene Krisenregierung könnte wegen der unterschiedlichen Interessen und Werte der Beteiligten nur schwer Ergebnisse von politischem Gewicht erreichen. Darum kann es leicht passieren, dass die Wähler sich frustriert von der 'Elite, die sich gegen den Volkswillen verbündet hat', ab- und den Rechtsradikalen zuwenden. Wenn aber die Macht den von Matteo Salvini angeführten Rechtsextremen überlassen wird, kann das unabsehbare Konsequenzen haben. Darum gibt es keine beruhigende Lösung für die aktuelle politische Krise. Wir können nur hoffen, dass auch in Bezug auf Italien gilt: ... It's always darkest before the dawn.“
Noch immer sitzt Berlusconi an den Schalthebeln
Polityka hält eine unerwartete Wendung der Geschichte für möglich:
„Eine Lösung für Salvini wäre ein Komitee aus Lega und Forza Italia, Silvio Berlusconis Partei. Die Parteien würden mit einer Liste zur Wahl antreten, ohne nach der Abstimmung einen Koalitionsvertrag abschließen zu müssen. ... In Italien werden in den nächsten zwei Monaten jeden Tag mediale Kämpfe und rhetorische Auseinandersetzungen stattfinden. Salvini wird sie wahrscheinlich anführen und eine größtmögliche Polarisierung des Landes anstreben, denn davon profitiert er selbst am meisten. Zwar bleibt er der Favorit für das Amt des Premiers. Trotzdem kann er sich des Amtes nicht sicher sein. Denn obwohl Jahre oder gar Jahrzehnte vergangen sind, hat sich eines in der italienischen Politik nicht geändert: In der Praxis hängt alles noch immer von Silvio Berlusconi ab.“
Ausgang völlig offen
In Italien herrscht derzeit absolute politische Ungewissheit, meint Jutarnji list:
„Die Trennung der xenophoben souveränistischen Lega, die beschlossen hat, die Regierung zu stürzen, die sie eigentlich dominierte, um bei Neuwahlen 'freie Hand' und 'volle Macht' (wie ihr Anführer Matteo Salvini sagte) zu verlangen, und der populistischen und dysfunktionalen Cinque Stelle hat Italien in völlige politische Ungewissheit geführt. Diese wird sich zu einem guten Teil bis Freitag lösen, aber in diesem Moment sind alle Optionen offen. In diesem Parlament gibt es nämlich keine Mehrheit, wenn sich nicht zwei der drei führenden Parteien zusammentun (Lega, Cinque Stelle, PD), und es bleibt die Frage, ob Wahlen einer von ihnen die absolute Mehrheit bringen würden.“
Salvini will die Massen mobilisieren
Der Lega-Chef wird die Füße nicht stillhalten, sollte es keine Neuwahl geben, prophezeit die Neue Zürcher Zeitung:
„'Wir werden uns friedlich auf Italiens Plätzen versammeln, um das Wahlrecht einzufordern', kündigt Salvini an für den Fall, dass die politischen Gegner sich zusammenraufen und eine neue Koalition bilden werden. Nach seinem Dafürhalten steht der Wille mobilisierter Volksmassen über den Entscheidungen der demokratisch gewählten Volksvertreter. ... Matteo Salvini will demokratische Verfahren mit Druck von der Strasse aushebeln, wenn ihm deren Ergebnis nicht passt und etwa Matteo Renzi per Parlamentsbeschluss wieder in die Regierung einzieht. Solange der Protest friedlich bleibt, ist dagegen nichts einzuwenden. Demonstrieren gehört zu den demokratischen Grundrechten.“
Lega-Chef könnte noch radikaler werden
Auch El Periódico de Catalunya glaubt nicht, dass Salvini jetzt ausgebremst ist:
„Es reicht, einen Blick auf das Handeln des bisherigen Innenministers zu werfen, um zu erkennen, dass sich jede missliche Lage immer noch weiter verschlechtern kann. Wenn Salvini nun sagt, dass er sich 'als freier Mann' fühlt, muss man daraus schlussfolgern, dass er sich bislang zu Zurückhaltung genötigt sah im Umgang mit der Migration und im Hinblick auf seine Regierungsverantwortung. Das heißt, dass sein zorniger Nationalismus noch radikaler, sein mangelndes Mitgefühl mit dem Schicksal der Schwächsten noch weniger und sein Hang, EU-Richtlinien zu missachten, noch stärker werden könnten.“
Mal sehen, wer zuletzt lacht
Die Affäre könnte einen unerwarteten Sieger hervorbringen, glaubt hingegen La Repubblica:
„Die 'Regierung des Wandels' endet ohne Würde, ohne ein Meisterwerk von Salvini, der sich verrechnet hat. ... [Salvini] ist es auf einen Schlag gelungen, die Regierung zu töten, die Lega in den Selbstmord zu treiben, Di Maio wiederzubeleben und den PD wieder auferstehen zu lassen. ... Es mag paradox erscheinen, aber [PD-Chef] Zingaretti ist der Einzige, der bisher vielleicht das Gesicht gewahrt hat. ... Er litt unter Renzis unglaublicher Steuerung, aber er ertrug sie, sogar mit dem Risiko, wieder einmal als zu nachgiebig zu erscheinen. Er eilte nicht zum Sterbebett der Gelb-grünen Koalition und segnete nicht die aufsteigende Frankenstein-Koalition Gelb-Rot [aus Cinque Stelle und PD] ab. Und jetzt kann er in Ruhe, ohne sich zu verbrennen, die Entscheidung des Staatspräsidenten abwarten.“