Grüner Ruck geht durch die Schweiz
Die Grünen und die Grünliberalen haben bei der Parlamentswahl in der Schweiz ein historisch gutes Ergebnis erzielt. Stärkste Partei bleibt die nationalkonservative SVP, sie verlor jedoch vier Prozentpunkte. Kommentatoren erklären die Gründe für den grünen Erfolg und benennen die Herausforderungen für die erstarkten Parteien.
Klimawandel lässt Schweizer umdenken
Die Tageszeitung Blick bezeichnet das Wahlergebnis als historisch:
„Eine grüne Welle wurde erwartet. Gekommen ist eine grüne Flut ... . Grün ist zum Lifestyle geworden. Grün ist in. Doch grün ist nicht gleich grün: Grüne und Grünliberale eint einzig das 'Grün' in ihren Namen. Sonst liegen sie so weit auseinander wie [die sozialdemokratische] SP und [die liberale schweizerische] FDP. Die Wähler der Grünen haben sich für ein anderes Weltbild entschieden als die Wähler der Grünliberalen. Aber sie haben eine gemeinsame Forderung: Die Politiker sollen den Klimawandel ernst nehmen und Massnahmen ergreifen. ... Die Schweiz stand jahrzehntelang für unerschütterliche Stabilität mit höchstens sanften Ausschlägen in den Wählerstärken. Vielleicht sind wir gerade daran, ein ganz normales Land zu werden.“
Schmelzende Gletscher sind nicht zu übersehen
Warum der Erfolg der Grünen nicht überraschend kommt, erklärt Zeit Online:
„Immerhin ist die Schweiz überdurchschnittlich stark vom Klimawandel betroffen. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich die jährliche Durchschnittstemperatur hierzulande bereits um 2 Grad Celsius erhöht. Und während in Deutschland erst Hitzesommer und Rekorddürren den Klimawandel sichtbar machen, spielt er sich in den Schweizer Alpen seit Jahrzehnten vor den Augen der Einheimischen ab. [D]ie schmelzenden Gletscher ließen sich bisher kaum in politische Erfolge ummünzen. Der Verlust ihres ewigen Eises ließ die Eidgenossen relativ kalt. Heute, im Jahr 2019, ist das anders.“
Das Risiko der Vorschuss-Lorbeeren
Der klare Stimmenzugewinn der grünen Parteien hat kaum Einfluss auf den politischen Alltag in der Schweiz, bedauert Le Courrier:
„Die SVP bleibt stärkste Kraft in der Schweiz. Blochers Clique wird einfach nur etwas weniger Spielraum haben. ... Die soziale Bewegung wird ihre Projekte weiter vorantreiben müssen, indem sie ihre Macht vor Ort ausbaut. Im Parlament stößt sie auf keine Sperrmehrheit mehr. Das ist krass, gleichzeitig aber bei Weitem nicht ausreichend. Die Erwartungen – vor allem der jungen Menschen – sind nämlich immens. Werden sie enttäuscht, öffnet dies die Tür für einen politischen Frust, der unmittelbare Folgen haben wird, genau wie das Scheitern des Sozialismus in Frankreich und in Deutschland.“