Frankreich: Macron blamiert seine Abgeordneten
In Frankreich sorgt der Umgang Macrons mit seinen Parlamentariern derzeit für Diskussionen. Er hatte die LREM zunächst aufgefordert, gegen eine Verlängerung des Sonderurlaubs für Eltern, die ein Kind verloren haben, zu stimmen. Nach heftiger Kritik von Opposition und Arbeitgebern rief er dann zu mehr Menschlichkeit auf. Französische Medien sehen ein systematisches Problem.
Symptomatische Verunsicherung
Das aktuelle Chaos offenbart eine größere Strategie- und Sinnkrise von Macrons Präsidentschaft, analysiert Le Monde:
„Die herrschende Verunsicherung erklärt sich zum Teil durch die mangelnde Erfahrung: Die Verdrängung des alten politischen Establishments hat eine neue Generation von Abgeordneten hervorgebracht, die wenig kampferprobt sind und kein wirkliches Fundament haben. Das stellt nicht nur heute, sondern für den ganzen Rest der Präsidentschaft ein Problem dar, da im Fall einer Regierungsumbildung kaum personelle Alternativen zur Verfügung stehen. Das Besorgniserregendste ist jedoch der Verlust des Narrativs, auf das der Kandidat seine fünfjährige Amtszeit gestützt hatte. Das Ziel der Reformen verschwindet hinter einem Drahtseilakt höchster Komplexität, der alles sinnentleert erscheinen lässt. Daher betrifft die Verwarnung des Staatspräsidenten in erster Linie ihn selbst.“
Gefährliche präsidiale Machtfülle
Neben Macron steckt auch Frankreichs demokratisches System in einer Malaise, ergänzt L'Opinion:
„Aufgrund des Verbots der Ämterhäufung haben die Abgeordneten keine Hochburg mehr, wo sie wieder Kontakt zu ihren Wählern aufnehmen und sich wirklich als Entscheider fühlen können. Vor allem bringt sie die Kopplung der Legislaturperiode an die fünfjährige Amtszeit des Präsidenten um einen großen Teil ihrer durch die Wahl errungenen Legitimität. Für die Parlamentsmehrheit ist es schwer, eigene Entscheidungen zu treffen und sich von dem vom Präsidenten diktierten Kurs zu entfernen, ohne sich dem Vorwurf der Revolte auszusetzen. Diese Höllenmechanik konzentriert die Erwartungen der Bürger immer stärker auf den Präsidenten: Die Illusion eines vom Himmel Gesandten ist so stark wie nie zuvor. Ein echtes politisches Risiko.“