Papst Pius XII.: Vatikan gibt Archive frei
Mehr als 60 Jahre nach dem Tod von Pius XII. hat der Vatikan seine Archive aus der Zeit des umstrittenen Papstes geöffnet. Mehrere hundert Forscher wollen nun die Rolle der Katholischen Kirche mit Blick auf den Holocaust ergründen und klären, was deren Oberhaupt über die Judenverfolgung wusste und warum er dagegen nicht laut protestierte. Wird ihnen dies gelingen?
Diskretion war Rettungsstrategie
Die Erforschung der Archive wird erhellend sein, glaubt Historiker Edouard Husson auf Atlantico:
„Diejenigen, die sich die Zeit nehmen, die Dokumente geduldig zu sichten, wird das unermüdliche Handeln des Papstes zur Rettung der Juden und aller anderen Opfer des Zweiten Weltkriegs erstaunen. Sie werden auch verstehen, dass das besagte 'Schweigen' ein Ziel hatte: zu retten, ohne Aufsehen zu erregen, ohne die furiosen Verrückten zu provozieren, die in Berlin regierten und ganz Europa besetzten. ... Am 11. November 1940 hat er [Reichsaußenminister] Ribbentrop sämtliche Nazi-Verbrechen im besetzten Polen aufgelistet. Er hat die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in seiner Weihnachtsbotschaft 1942 angeprangert. Und vor allem hat er, um die Juden in Rom zu retten, dem deutschen Botschafter Weizsäcker im Oktober 1943 angedroht, sich öffentlich zu äußern. Dank dieser Drohung wurde die Razzia gestoppt.“
Neutrale Historiker gesucht
Eine unvoreingenommene Auswertung der Dokumente könnte von vornherein zum Scheitern verurteilt sein, fürchtet der Oberrabbiner von Rom, Riccardo Di Segni, in La Stampa:
„Zu den rein technischen Schwierigkeiten kommt das Problem hinzu, dass das Material eine dramatische historische Periode betrifft, die weiterhin Objekt leidenschaftlicher Debatten ist. Der ideale Historiker wäre derjenige, der wie in einem sterilen und isolierten Raum arbeiten würde, frei von jeglichen Vorurteilen und Einflüssen, konzentriert auf die Dokumente und deren Bedeutung. Aber wo finden wir für das Thema, über das wir sprechen, solche Historiker? Auf der einen Seite gibt es die Apologeten, auf der anderen Seite die hartnäckigen Ankläger, und jeder führt seine eigenen Argumente an.“
Ein Opfer des Kalten Krieges
Pius XII. galt zwar als Judenretter, wurde aber später Opfer der sowjetischen Propaganda, meint die regierungsnahe Tageszeitung Magyar Nemzet:
„Der roten Macht war das jeweilige Oberhaupt der katholischen Kirche immer ein Dorn im Auge. Deswegen hat sie alles getan, um das Image von Papst Pius XII. zu beschädigen. ... Die sowjetische Propaganda ist auf fruchtbaren Boden gefallen. ... Selbst, wenn die riesige Menge der [jetzt öffentlich gemachten] Materialen überprüft und interpretiert werden, wird Papst Pius wohl nie seinen rechtmäßigen Platz in der Geschichte einnehmen können.“