70 Jahre Schuman-Plan: Wo steht Europa heute?
Am 9. Mai 1950 schlug Frankreichs Außenminister Robert Schuman die Gründung einer Europäischen Gemeinschaft vor. Seine Vision fünf Jahre nach Kriegsende: Bewaffnete Konflikte durch politische Zusammenarbeit, zunächst in den Bereichen Kohle und Stahl, verhindern. Schumans Vorschlag gilt als Grundstein der heutigen EU. 70 Jahre danach blicken Kommentatoren auf die Erfolgsbilanz.
Vertrauensfundament nicht verspielen
Feierlichen Worten über die EU müssen die Mitgliedsstaaten auch Taten zu ihrer Stärkung folgen lassen, mahnt Hospodářské noviny:
„Die Finanz- und Wirtschaftskrise, das Migrationsproblem, der Brexit - das alles führte dazu, dass das Ende der EU vorausgesagt wurde. Doch nichts dergleichen ist passiert. Im Gegenteil: Die Zufriedenheit der Menschen mit der Mitgliedschaft in EU oder Eurozone war im vergangenen Jahr laut Umfragen so hoch wie nie zuvor. ... Doch diese positiven Umfragen stammen aus einer Zeit, in der die EU wirtschaftlich gut dastand. Das ändert sich mit Corona gerade dramatisch. ... Europas nationale Spitzenpolitiker müssen sich jetzt klar zur EU bekennen. Tschechiens Premier hat die Rolle der EU am Europatag per Twitter gelobt. Es wäre schön, wenn es nicht bei einem Tweet bliebe.“
Vielleicht feiern die Briten zum 100. wieder mit
"Wenn es die EU nicht gäbe, müsste man sie erfinden" titelte Dagens Nyheter zum Europatag:
„Die EU ist bei Weitem nicht perfekt. Es gibt viel, worüber man frustriert sein kann und viel, was reformiert werden muss. Aber wenn man 70 Jahre nach der Pressekonferenz von Robert Schuman Bilanz zieht, liegt viel in der Waagschale des Positiven. Frieden, Wachstum und Freiheit sind keine austauschbaren Werte. Ohne die Union wären die Schweden ärmer, schwächer und langweiliger. Herzlichen Glückwunsch an die EU - und vielleicht feiern die Briten zum 100. Geburtstag wieder mit.“
Mitgestalten statt schimpfen
Spanien sollte die EU in der Coronakrise nicht zum Sündenbock machen, warnen die Sozialwissenschaftler Ignacio Molina und Federico Steinberg in El País:
„Der Brexit und der Absturz der traditionellen Europafreundlichkeit der Italiener zeigen, welch historischer Fehler es wäre, nun falsche Erwartungen in Bezug auf eine konstruktive Beziehung zwischen Spanien und der EU zu schaffen. ... Nichts wäre schädlicher, als die Idee zu verbreiten, dass der europäische Weg fremd und aufgezwungen sei. Man muss die europäische Strategie in seinem Sinne zu beeinflussen wissen - aber immer im Sinne eines Projekts, das von der großen Mehrheit unserer Gesellschaft mitgetragen wird. Während wir die EU mitgestalten, die Spanien braucht, können wir umgekehrt auch europäische Ziele als die eigenen übernehmen.“
An der Peripherie knallen gewiss keine Korken
Baricada sieht den Europatag nicht als Feiertag:
„Für uns hier an der Peripherie ist der 9. Mai weiterhin der Tag des Wirtschaftseuropas, das auf Profit ausgerichtet ist, und der Tag eines ungleichen Europas. ... Europas Wirtschaftsgemeinschaft hat uns nicht Wohlstand für alle gebracht, sondern eine Sparpolitik für alle und Reichtum für wenige. Dieses vereinte Europa, das auf dem Sieg gegen den Faschismus aufgebaut wurde, rüstet heute auf, und wir erleben einen Anstieg der Investitionen in die Kriegsindustrie. Für einen Europa-Tag, der uns alle erfreut, müsste sich Europa aus einer antifaschistischen Union in eine der wirtschaftlichen Gleichheit und sozialen Gleichberechtigung verwandeln.“
Für Bulgarien ein Trauertag
Für die Bulgaren steht der 9. Mai vor allem für einen anderen, wenig erfreulichen Anfangspunkt, schreibt Webcafé:
„Viel zu lange herrschte in der bulgarischen Gesellschaft der Glaube, dass die UdSSR Bulgarien vom Faschismus befreit habe. ... Doch das stimmt nicht. Erstens, weil es in Bulgarien nie Faschismus oder Nazismus gegeben hat. Zweitens, weil die UdSSR Bulgarien den Krieg erklärte, obwohl das Land zuvor seine Neutralität erklärt hatte. In der Folge wurde ein Marionettenregime in Sofia eingesetzt, das in eine totalitäre Diktatur überging, deren verheerende Folgen unser Leben mindestens noch ein halbes Jahrhundert bestimmen werden. Das war keine Befreiung, sondern eine Versklavung.“