Hat Selenskyj die Erwartungen erfüllt?
Ein Land neuer Möglichkeiten und einen radikalen Bruch mit den korrupten Eliten – das hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj versprochen. Zur Amtseinführung kam der Politik-Neuling zu Fuß, gab sich lässig und volksnah, machte Selfies. Kurz darauf löste er mit einer umstrittenen Entscheidung das Parlament auf, wo ihm zuvor noch die Mehrheit fehlte. Ein Jahr später ziehen Kommentatoren Bilanz.
Eine durchwachsene Bilanz
Eine ganze Reihe von Erfolgen und Enttäuschungen im ersten Amtsjahr zählt TSN auf, darunter diese:
„Ein Teil der Gefangenen ist frei, im Donbass wird weniger geschossen, das Normandie-Format wurde wiederbelebt. ... Die EU ist von ihren Sanktionen [gegen Russland] nicht abgerückt. Das Telefonat zwischen Selenskjy und Trump hat den ganzen Planeten bewegt. ... Selenskyj ist es dabei gelungen, trocken aus dem Wasser zu kommen. … Der Präsident hält am Kurs Richtung EU und NATO fest - das ist ein Plus. Doch entscheidende Schritte in dieser Richtung gab es keine. Und das ist ein Minus. … Seine Personalpolitik und die häufigen Wechsel in seiner Mannschaft sind ebenfalls ein Minus. … Eine der wichtigsten Wahlversprechen war die Inhaftierung von korrupten Beamten. Doch bisher sitzt niemand.“
Skandal statt Anti-Korruptions-Kampf
Webcafé zeigt sich ein Jahr nach dem Amtsantritt Selenskyjs ernüchtert:
.„Er gewann die Präsidentschaftswahl überzeugend mit dem Versprechen, die Korruption auszurotten, die größten Verbrecher des Landes hinter Gitter zu bringen, den Krieg mit Russland zu beenden und Milliarden von Auslandsinvestitionen anzuziehen. Doch nichts davon ist Wirklichkeit geworden. … In seinem ersten Jahr hat der Ex-Komiker kaum etwas im Kampf gegen die Korruption erreicht. Der Krieg in der Ostukraine gegen die vom Kreml unterstützten Separatisten steckt nach wie vor in einer Pattsituation. Stattdessen geriet die Ukraine in den Mittelpunkt des größten Skandals in den USA seit Monica Lewinsky“
In ruhigerem Fahrwasser
Dziennik Gazeta Prawna konstatiert erleichtert, dass sich das Verhältnis zwischen Kiew und Warschau zumindest nicht verschlechtert hat:
„Polen hat von Anfang an nicht viel erwartet oder angeboten. Lange vor Selenskij, noch zur Amtszeit Poroschenkos, machte der polnische Präsident Andrzej Duda klar, dass Polen nicht zurückkehren würde zur rituellen Unterstützung Kiews zu jeder Zeit und an jedem Ort und unabhängig davon, ob stark national ausgerichtete ukrainische Aktivisten wieder Proteste organisieren. … Doch nach einem Jahr der Präsidentschaft Selenskijs hat sich die aufgeheizte Stimmung zwischen Warschau und Kiew deutlich beruhigt. Und im Prinzip kann dies als mäßiger Erfolg angesehen werden.“