Polizeigewalt: Minneapolis löst Behörde auf
Nach der Tötung des Schwarzen George Floyd durch einen weißen Polizisten in Minneapolis zieht der Stadtrat Konsequenzen. Das Minneapolis Police Department soll aufgelöst werden, es sei nicht mehr reformierbar. Die Stadt will nun ein "neues Modell der öffentlichen Sicherheit" schaffen. Diese Entscheidung findet in Europas Kommentarspalten großen Widerhall.
Die Gesellschaft als Schlachtfeld
Die US-Polizei schleppt die Last der wachsenden gesellschaftlichen Ungleichheit mit sich, meint das Onlineportal Mérce:
„Diese Entwicklungen sind der Höhepunkt eines langen Prozesses, der in den USA auf den 'Krieg gegen die Drogen' (War on Drugs) zurückgeht. Dieser hat zur Militarisierung der Polizei und zur Gefängnisindustrie - einer massenhaften Inhaftierung - geführt. Der Prozess ist Teil eines globalen Trends: Durch die Ausbreitung des Neoliberalismus und den Abbau der sozialen Netze rutschten immer mehr Menschen in die unteren, unproduktiven Gesellschaftschichten ab. Die Aufgabe der staatlichen Vollzugsbehörden wurde mehr und mehr die repressive Überwachung dieser Gesellschaftschichten ... Die militarisierte Polizei war gezwungen, die Gesellschaft als Schlachtfeld wahrzunehmen, auf dem immer größere Bevölkerungsschichten zu potentiellen Feinden wurden.“
Das Problem sitzt tief in den Köpfen
Polityka fürchtet, dass das Problem größer ist als die Polizei in Minneapolis:
„Das rassistische Verhalten der Polizisten ist ein institutionelles Problem und reflektiert den unbewussten gesellschaftlichen Rassismus, der in weißen Köpfen sitzt und den die Vereinigten Staaten immer noch nicht überwunden haben. Umfragen werden dies nicht zeigen, die Leute wissen, dass Rassismus heutzutage nicht mehr cool ist. ... Den unbewussten, gesellschaftlichen Rassismus sieht man, wenn eine schwarze Person mit Kreditkarte bezahlt und dabei nach dem Ausweis gefragt wird, man erkennt ihn an der Wachsamkeit von Security-Leuten, wenn ein Afroamerikaner in der Nähe ist, und an der respektlosen Gleichgültigkeit, wenn eine schwarze Person Hilfe benötigt.“
Wenn es brenzlig wird, nützt ein Ältestenrat nichts
Einige schießen in der Debatte um die Polizei übers Ziel hinaus, erklärt die Neue Zürcher Zeitung:
„Wenn nun der Ruf nach Abschaffung der Polizei laut wird, ist das töricht. Auf eine solche Idee kann nur kommen, wer sich überdurchschnittlich sicher fühlt. Phantasieren über 'vormoderne Konfliktlösungen' wie etwa Ältestenräte ist ein schöner Zeitvertreib, aber was nützen solche Instanzen etwa einer Frau im Fall von häuslicher Gewalt, wenn sie nicht eine Notrufnummer wählen und hoffen kann, dass in absehbarer Frist jemand interveniert? ... Die Polizei braucht es nach wie vor, das wissen jene am besten, die ihren Schutz am häufigsten nötig haben. Das heisst aber nicht, dass die Polizei so bleiben muss, wie sie ist.“
Mit dem Kniefall kommt die Veränderung
Was viele US-amerikanische Polizisten in diesen Tagen gut machen, erklärt Radio Kommersant FM:
„Faktisch stehen die Polizisten jetzt zwischen Politikern, die die Stimmung vor den Wahlen aufheizen, und wütenden Bürgern. Aber was wichtig ist: Sie knien nicht nieder, sie knien auf einem Bein. Diese Geste ist in den letzten Jahren zum antirassistischen Symbol geworden. Jetzt haben auch Polizisten diese Tradition übernommen. Das Resultat ist beeindruckend. Die Proteste sind noch lange nicht vorbei, aber das Verhalten der Teilnehmer ändert sich sichtlich. ... Man darf deshalb nicht über die US-Polizei lachen oder sie bemitleiden. Die Beamten erniedrigen sich nicht, sie nehmen ihre Aufgabe an und 'provozieren' die Protestierenden zur friedlichen Kooperation.“