EU und UK: Welche Beziehung wollen sie?
Großbritannien und die EU sind derzeit nicht gut aufeinander zu sprechen, denn die nach wie vor ungeklärten Aspekte des Post-Brexit-Abkommens machen sich schmerzhaft im Streit um die knappen Impfstoffe gegen Covid-19 bemerkbar. Impfstoffexporte aus der EU werden streng überwacht und können gestoppt werden; Kontrollen an der Grenze zu Nordirland sind politisch aber äußerst heikel. Kommentatoren fordern Deeskalation.
Brüssel muss sich kompromissbereiter zeigen
Dass die EU rechtliche Schritte im Streit über Warenkontrollen an den Grenzen Nordirlands angekündigt hat, ist nicht hilfreich, glaubt Irish Times:
„Was ist denn die Rechtfertigung der EU dafür, das Risiko so zu übertreiben und sofortige, unrealistische Kontrollmaßnahmen zu fordern? Ist es nur bürokratische Unnachgiebigkeit? Wenn London versucht, das Protokoll nachträglich neu zu verhandeln, dann bestätigt Brüssel damit die Notwendigkeit dessen. ... Brüssel verspürt möglicherweise das Gefühl, einen nicht vertrauenswürdigen Partner an die Kandare nehmen und disziplinieren zu müssen, aber die EU muss sich auch auf eine einseitige Deeskalation einlassen. In Nordirland schellen die Alarmglocken angesichts der EU-Wahrnehmung der Seegrenzen nicht nur bei unionistischen Brexit-Befürwortern.“
Frostiger Ansatz ist riskant
Der britische Sonderminister für den Brexit-Prozess, David Frost, sollte eine diplomatischere Strategie für die Verhandlungen mit der EU in Erwägung ziehen, gibt The Spectator zu bedenken:
„Der Ansatz von Michael Gove [Vize-Premier und Frosts Vorgänger] wird von der Idee bestimmt, dass man mit Honig mehr Fliegen fangen kann, als mit Essig. Folgt man dieser Metapher, dann neigt Frost zum Essig-Weg. ... Viele Abgeordnete glauben, dass das Verhalten der EU beim Impfstoffdebakel – als die EU-Kommission plante, Artikel 16 zu aktivieren und nach Kritik wieder einen Rückzieher machte – die Entschlossenheit Brüssels geschwächt hat und Diskussionen um Verbesserungen des Nordirland-Protokolls konstruktiver machen dürfte. Aber die Frage bleibt: Wird Frosts Gebaren die EU zum Einknicken bringen oder sie weiter aufbringen?“
Singapur an der Themse
Der Kriminologe Federico Varese warnt in La Repubblica vor unerwünschten Nebenwirkungen der Pläne von Boris Johnson, der Freihäfen in Großbritannien schaffen will:
„Acht Sonderwirtschaftszonen (auch Freihäfen genannt), die Waren ohne allzu viele Kontrollen passieren können, und in denen man mit einem günstigen Steuerregime und ohne Zollgebühren bauen, produzieren und exportieren kann. So entstehen Offshore-Gebiete in direkter Konkurrenz zu Dubai und Singapur, die zu den schwarzen Löchern des Kapitalismus im 21. Jahrhunderts werden könnten. ... Zweifellos ist die Wiederbelebung der Wirtschaft ein hehres Ziel. Aber sie muss Hand in Hand gehen mit einer verstärkten Kontrolle des illegalen Handels in Hochrisikoregionen. Andernfalls läuft England nach dem Brexit Gefahr, zum idealen Ziel für Steuerhinterzieher und Betrüger zu werden.“