Was bedeutet Tschechiens Wahlergebnis für Europa?
Vier Tage nach der Parlamentswahl steht noch nicht fest, wer die künftige Regierung in Prag stellen wird. Stärkste Kraft wurde das Bündnis Spolu. Präsident Miloš Zeman, der die Regierungsbildung beauftragen muss, liegt aber nach wie vor im Krankenhaus. Die knappe Wahlniederlage von Premier Andrej Babiš' Partei Ano wird nach Ansicht der Kommentatoren aber sicher Konsequenzen haben - auch für Europa.
Befreit vom Interessenkonflikt
Deník sieht den bisherigen Premier abgewählt und freut sich auf positive Nebeneffekte:
„Aufgrund des riesigen Interessenkonflikts von Babiš mit der EU drohte Tschechien in die Richtung von Krisenländern wie Ungarn und Polen abzudriften. ... Die Wahlen haben das Babiš-Problem gelöst. Und Tschechien wird endlich in der Lage sein, die wirklichen Probleme des Staates anzugehen. Es gibt vieles, wofür wir schon lange keine Lösungen mehr gefunden haben, weil wir hauptsächlich die Probleme des Premierministers gelöst haben. Wir haben etwas nachzuholen.“
Nicht zu früh freuen
Mit Anti-Babiš-Slogans kann man eine Wahl gewinnen, das Regieren wird deutlich schwerer werden, warnt Pravda:
„In Tschechien kann es leicht so kommen wie in der Slowakei vor genau zehn Jahren mit der Regierung von Iveta Radičová [Premierministerin von 2010 bis 2012]. Dort wurde die Euphorie über den Sieg von Dauerstreitigkeiten abgelöst. Am Ende stand wieder eine Regierung von Robert Fico. Eine neue Pandemie-Welle, Streitigkeiten um Gelder aus dem Konjunkturprogramm, steigende Preise und Reformen mit negativen sozialen Auswirkungen könnten Babiš in Tschechien wieder auf den Thron katapultieren. Die Rückkehr eines bereits abgeschriebenen Politikers wäre in Europa kein Novum.“
Brüssel wird zufrieden sein
Das Wahlergebnis in Tschechien ist ein Dämpfer für die EU-kritische Bewegung in Osteuropa, meint The Spectator:
„Die Einsetzung einer EU-freundlichen Regierung in Tschechien macht es für die politischen Führer in Ungarn und Polen sicherlich um einiges schwieriger, den Eindruck aufrechtzuerhalten, dass es eine Art regionalen Widerstand gegen die EU gibt. ... Brüssel wird mit dem Ergebnis der Wahl in Tschechien vorerst zufrieden sein. ... Wird der dortige Urnengang eine neue Ära in den Beziehungen zu den Visegrád-Vier einleiten? Man sollte nicht darauf wetten. Dennoch ist dieses Ergebnis sicherlich ein Dämpfer für die Anhänger der Vorstellung, dass eine Flut von Europaskepsis, die mit dem Brexit begann, über den Kontinent schwappt.“
Politische Instabilität belastet EU
Was derzeit in Tschechien, Österreich und anderswo passiert, könnte die Handlungsfähigkeit der EU einschränken, fürchtet hingegen Jutarnji list:
„Bei allem Respekt für die Institutionen in Brüssel: Die EU ist am Ende nur das, was die Mitgliedstaaten wollen. Und diese haben zu unterschiedliche Wünsche, Standpunkte, Ängste, Interessen, Prioritäten und Pläne, als dass sie sich in so wichtigen Fragen einigen könnten. ... Obwohl Wahlzyklen eine normale Erscheinung sind, werden die momentanen Veränderungen und politischen Krisen in der EU Spuren hinterlassen. ... Im Europaparlament und Europäischen Rat geschieht dies bereits. Zu geschichtsträchtigen Entscheidungen wird die EU deshalb nicht in der Lage sein.“
Weiterer Dämpfer für Mitte-rechts
Konservative Parteien haben nicht nur in Tschechien an Einfluss verloren, analysiert The Irish Times:
„In Deutschland verloren sie mit ihrem schlechtesten Wahlergebnis aller Zeiten nach 16 Jahren im Amt die Macht. In Frankreich, wo seit 1958 fünf der acht Präsidenten der Fünften Republik Konservative waren, hat Mitte-rechts seit 2007 keine Wahlen auf gesamtstaatlicher Ebene gewonnen. In Italien hat sich die Rechte in den vergangenen zwei Jahrzehnten zunehmend radikalisiert und zersplittert. ... Zudem läuft es für die Rechtspopulisten nicht immer nach Wunsch. Die Welle, die durch die Wahl von Donald Trump 2016 in den USA verstärkt, wenn auch nicht ausgelöst wurde, hat in letzter Zeit an Schwung verloren.“
Unsere Demokratie funktioniert
Hochzufrieden über den Verlauf der Wahl ist Mladá fronta dnes:
„Die Wahl liegt hinter uns und damit vielleicht auch das mitunter hysterische Geschrei über das Ende der liberalen Demokratie in Tschechien. Es ist nichts dergleichen passiert, es gibt kein autoritäres Regime. Das politische Pendel funktionierte auch diesmal und schlug nun zum Vorteil der Kräfte aus, die vor acht Jahren die Regierung verlassen mussten. Womöglich wird das für die Wähler eine Lehre dahingehend sein, dass unsere Demokratie gar nicht so zerbrechlich ist und oft besser funktioniert als anderswo.“
Es droht politische Lähmung
Trotz des Sieges der Opposition herrschen alles andere als klare Verhältnisse, gibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu bedenken:
„Präsident Miloš Zeman [hat] das Recht, Babiš mit der Regierungsbildung zu beauftragen und ihm dafür alle Zeit der Welt zu lassen. Dass er zu einem solchen Vorgehen bereit ist, hat Zeman schon mehr als einmal demonstriert. So ist es wahrscheinlich, dass die Tschechen trotz ihres klaren Votums in den kommenden Monaten eine Zeit der politischen Lähmung erleben werden: mit einer parlamentarischen Mehrheit, die nicht regieren darf, einem Ministerpräsidenten, der den Verlust der Macht wegen seiner zweifelhaften Geschäfte fürchten muss ... , und einem Präsidenten, der so schwer krank ist, dass unklar ist, wie handlungsfähig er in Wirklichkeit noch ist.“
Ermutigend für Polen und Ungarn
Das Wahlergebnis in Tschechien sollte der Opposition in Warschau und Budapest Ansporn sein, meint Denník N:
„In einer Zeit, in der Mitteleuropa die größte Demokratiekrise seit dem Sturz des kommunistischen Regimes durchlebt, ist das Ergebnis der tschechischen Wahlen von großer Bedeutung. ... Premierminister Andrej Babiš, der auf die Unterstützung durch Viktor Orbán gesetzt hatte, verlor. Gleichzeitig können die tschechischen Wahlen die demokratische Opposition in Polen und Ungarn ermutigen. Die könnten sich ein Beispiel an der tschechischen Strategie nehmen, Koalitionen vor den Wahlen zu bilden, um den populistischen Führer zu besiegen.“
Das Ende der Ewiggestrigen
Die tschechischen Kommunisten sind erstmals nicht mehr über die Fünf-Prozent-Hürde gekommen, freut sich Deník:
„Spät kommt es, aber doch: Das Ende der Kommunisten in Tschechien. ... Sie vertraten die Interessen Russlands und Chinas und forderten den Austritt aus Nato und EU. Mit anderen Worten den Verlust an Sicherheit und wirtschaftlichem Erfolg für die Republik. Sie traten im Fernsehen als umsichtige Onkel und Tanten auf und beschworen bei Versammlungen Stalins Geist herauf. Eine tiefe Verbeugung vor den Wählern, die sie abgelehnt haben.“