Mord an britischem Abgeordneten: Bürgernähe ade?
Der konservative britische Abgeordnete David Amess ist am Freitag während seiner Bürgersprechstunde in Leigh-on-Sea erstochen worden. Die Polizei vermutet eine Verbindung zum radikalen Islamismus, der Angriff wurde als Terrorakt eingestuft. In Großbritannien, aber auch in Europas Presse wird nun diskutiert, wie Volksvertreter für Bürger zugänglich sein können, wenn sie gleichzeitig mehr Schutz brauchen.
Politikerbüros dürfen keine Festungen werden
The Sun mahnt:
„Es wird eine Reihe von Maßnahmen erwogen, um die Sicherheit der Abgeordneten zu erhöhen - von der Überprüfung von Personen, die Treffen mit Parlamentariern wünschen, bis hin zur Polizeipräsenz bei allen Sprechstunden. Das ist eine vernünftige und wichtige Debatte. Doch unsere gewählten Vertreter dürfen nicht so stark abgeschottet werden, dass sie von den Menschen, denen sie dienen, getrennt sind. Die Büros von Abgeordneten müssen zwar sicherer gemacht, dürfen aber nicht zu Mini-Festungen werden. Die so wichtige Beziehung zwischen Abgeordneten und der Öffentlichkeit darf nicht zerstört werden. Sonst haben die mörderischen Demokratie-Hasser gewonnen.“
Branche ist brutaler geworden
Amess hatte das zunehmend gewaltvolle Klima gegenüber Parlamentariern selbst beklagt. Politiker sind aber auch nicht unschuldig daran, meint die London-Korrespondentin der Nowaja Gaseta, Evgenia Dillendorf:
„In Zusammenhang mit der Spaltung des Landes wegen des Brexits gipfelten die Meinungsdissonanzen selbst auf höchster Ebene in Aussagen über 'Landesverrat' und 'Verrätertum'. ... Für einige Parlamentarier wurde der Erhalt von Mord- und Vergewaltigungsdrohungen zum Alltag. ... In seinen unlängst erschienenen Memoiren schrieb Amess, dass die Drohungen die Abgeordneten weniger zugänglich für ihre Wähler gemacht hätten und 'die große britische Tradition von Treffen des Volkes mit gewählten Politikern gründlich verdorben' hätten. Seinen Memoiren hatte er den Untertitel 'Reiseführer eines Westminster-Überlebenden' gegeben.“
Sprechstunde mit Taschenkontrollen
Der Tages-Anzeiger nimmt ebenfalls Bezug auf einen Teil in Amess' Buch, wo es um die Frage geht, wie sicher Abgeordnete sind:
„ Der Abschnitt trägt den Titel "Von der IRA zu ISIS". Vor allem der Anschlag auf Airey Neave, der 1979 von einer Autobombe getötet wurde, während er aus dem Parkhaus am Parlament hochfuhr, habe ihn stets beschäftigt, schreibt Amess: 'Immer wenn ich diese Rampe hochfahre, muss ich an dieses schreckliche Ereignis denken.' … Auch jetzt betonen die meisten Politiker zu Recht, am Konzept der Bürgersprechstunden müsse festgehalten werden. Ein tragischer Vorfall wie der Mord an Amess wird allerdings die Atmosphäre verändern: Polizeischutz oder Metalldetektoren bei den Bürgersprechstunden werden erwogen.“