Polen: Massenproteste nach Tod einer Schwangeren
In Polen sind Schwangerschaftsabbrüche seit einem Jahr fast ausnahmslos verboten. Nun starb eine Schwangere in der Stadt Pszczyna, nachdem die zuständigen Ärzte nicht abtreiben wollten, bevor das Herz des Fötus aufgehört hatte zu schlagen. Am Wochenende demonstrierten Zehntausende gegen das rigide Abtreibungsgesetz. Warum die Proteste so schnell nicht abklingen werden, erörtert die Presse.
Polinnen haben Angst vorm Kinderkriegen
Für Tygodnik Powszechny ist das restriktive Abtreibungsrecht auch an der niedrigen Geburtenrate schuld:
„Die demografische Situation in Polen ähnelt zum ersten Mal der nach dem Zweiten Weltkrieg: Noch nie wurden so wenige Kinder geboren. Schwanger werden zunehmend ältere Frauen. Bei den Demonstrationen von Gegnern der Verschärfung des Abtreibungsgesetzes ertönt die Parole 'Tot werden wir nicht gebären'. Es ist die Angst, die polnische Frauen davon abhält, Kinder zu bekommen.“
Abtreibung wird zum dominierenden Thema
Der Chefredakteur von Rzeczpospolita, Bogusław Chrabota, erwartet einen Wertewandel:
„Wir haben in unserer Zeitung mehrfach gewarnt, auch vonseiten katholischer Autoritäten, dass es eine fatale Idee ist, den Abtreibungskompromiss zu kippen. Das Pendel so weit nach rechts schwingen zu lassen, führt dazu, dass die darauf folgende Gegenbewegung die rationalen Lösungen der vergangenen Jahre zunichte macht. Nun, [die Präsidentin des Verfassungsgerichts] Przyłębska und Konsorten haben nicht zugehört. Die Folgen werden wir bald zu spüren bekommen, denn sowohl das Bild der verstorbenen Iza als auch das Thema Abtreibung werden auf der politischen Agenda der Opposition ganz oben stehen. Die nächsten Wahlen können zu einem Referendum über diese Frage werden.“
Die Ärzte leben in Angst
Gazeta Wyborcza ist schockiert:
„In dem Krankenhaus, in das die Frau in der 20. Schwangerschaftswoche eingeliefert wurde, wartete man, bis der Fötus starb. Und die Patientin starb. Sie hinterlässt einen Ehemann und eine Tochter. Die Mutter dieses kleinen Mädchens wird nicht nach Hause zurückkehren, weil jemand entschieden hat, dass der Fötus, den sie in sich trug, wichtiger war als sie. Weil die Abtreibung in diesem Land illegal ist, weil die Ausnahmen, die das Gesetz zulässt, sehr knapp bemessen sind. Zudem haben die Ärzte Angst davor, diese anzuwenden, wie sie off the record sagen. Sie haben Angst, das Leben von Frauen zu retten. ... Und je kleiner die Stadt, desto größer ist diese Angst.“
Irland als Vorbild
Anderswo führte eine solche Tragödie zu Verbesserungen, schreibt Polityka mit leiser Hoffnung:
„Im katholischen Irland wurde die Legalisierung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch durch den gesellschaftlichen Schock nach dem Tod der 31-jährigen Savita Halappanavar ausgelöst, die unter ähnlich dramatischen Umständen starb. ... In einer funktionierenden Demokratie ist die Antwort auf solche Tragödien eine öffentliche Debatte. In Irland führte die Debatte zu einem Referendum über die Legalisierung der Abtreibung. Zwei Drittel der Wähler sprachen sich dafür aus, die Legalisierung wurde im Parlament beschlossen. Auf diese Art und Weise sollte die Angelegenheit auch in unserem Land gelöst werden: durch eine Debatte und ein Referendum, dem eine offene und gründliche Informationskampagne vorausgeht.“