Koblenz: Lebenslänglich für syrischen Folterer
Das Oberlandesgericht in Koblenz hat Anwar R. im weltweit ersten Strafprozess um Staatsfolter in Syrien wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt. Der ehemalige Vernehmungschef eines syrischen Geheimdienst-Gefängnisses soll für die systematische Folter von mindestens 4.000 Menschen verantwortlich gewesen sein. Europas Presse begrüßt das Urteil, sieht aber noch viel Handlungsbedarf.
Mahnung an Peiniger weltweit
Das Verfahren ist rundum zu würdigen, findet Le Temps:
„Man muss diese Verurteilung begrüßen, ebenso wie die darin zum Ausdruck kommenden Fortschritte der internationalen Justiz und die davon ausgehende Warnung an die Folterer und deren Vorgesetzte in Syrien und anderswo: Keine Grenze darf die Verantwortlichen von Verbrechen solchen Ausmaßes schützen. Ebenfalls in jeglicher Hinsicht bewundernswert ist die unermüdliche Arbeit der syrischen Opfer und der Organisationen, die Beweise und finanzielle Mittel zusammengetragen haben - aber auch der Mut der Zeugen, die teils Gefahr liefen, das Schicksal ihrer Angehörigen zu gefährden.“
Den Haag wurde von China und Russland blockiert
Koblenz springt da ein, wo Den Haag gescheitert ist, wirft La Stampa ein:
„Für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wäre der Internationale Gerichtshof in Den Haag eigentlich der richtige Ort gewesen. Doch bereits 2014 hatten die Gegenstimmen Chinas und Russlands den ersten Versuch des UN-Sicherheitsrats blockiert, die Kriegsverbrechen in Syrien durch den Haager Gerichtshof aufzuklären. Nach der UN-Antifolterkonvention von 1984 und den 2002 in das internationale Strafrecht aufgenommenen Grundsätzen ist es möglich, bestimmte Kategorien schwerer Verbrechen unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Opfer und der Täter zu verfolgen, auch unter Anwendung der nationalen Gerichtsbarkeit.“
Das Morden wird weitergehen
Für den Tagesspiegel ist es ein historisches Urteil, das aber zugleich auch ernüchtert:
„[W]eil Baschar al Assad als oberster Befehlshaber nicht auf der Anklagebank Platz nehmen musste und es wohl nie tun muss. ... Der Despot, der Krieg gegen das eigene Volk führt, hat nichts zu befürchten. Die oft zitierte Weltgemeinschaft hat sich mit ihm und seiner Herrschaft arrangiert. Das ist der bittere Beigeschmack des Koblenzer Prozesses. Das Morden und Foltern in Syrien wird weitergehen. Daran ändert auch das Urteil gegen Anwar R. nichts.“
Manche Folterkeller bleiben außen vor
Der Tages-Anzeiger hält es für keinen Zufall, dass andere Staaten geschont werden:
„Der Einsatz der deutschen Justiz ist durchaus nicht frei von politischen Eigeninteressen. Man sieht das daran, welche Länder die Ermittler schonen. Die Folterkeller des ägyptischen Diktators al-Sisi beispielsweise, über die Menschenrechtsorganisationen auch eine Menge zu berichten wissen, sind für sie kein Thema. Auch die Folter in amerikanischen Gefangenenlagern im Nahen und Mittleren Osten oder in Guantánamo haben sie sich nie näher angesehen. ... Und trotzdem ist es richtig, dass die deutsche Justiz jetzt derart stark gegen Syrien vorangeht.“