Ukraine-Krise: Was kann jetzt die Lage beruhigen?
Die USA warnen mit zunehmender Eindringlichkeit vor einer Eskalation der Lage in der Ukraine noch vor dem Ende der Olympischen Spiele. Während am Wochenende die Telefondiplomatie zwischen Moskau, Washington, Paris, Berlin und Kyjiw im Akkord lief, haben etliche Staaten ihre Bürger zum Verlassen der Ukraine aufgerufen. Kommentatoren warnen vor Kriegsrhetorik und raten zu einer Strategieänderung.
Angst schüren hilft nur Putin
Bidens Aufruf an die US-Bürger, die Ukraine zu verlassen, ist fatal, kritisiert der Deutschlandfunk:
„Wenn sich in der Ukraine Panik ausbreitet, spielt das Russlands Präsident Wladimir Putin in die Hände. Denn wer investiert noch in ein Land, das mutmaßlich kurz vor der Invasion steht? Schon jetzt berichten westliche Journalisten über Bunker in Kiew, statt zum Beispiel über die erfolgreiche ukrainische Landwirtschaft, mit einer Getreideernte, von der auch Deutschland als Importeur profitiert. Die Ukraine droht zum Risikogebiet abgewertet zu werden. ... Der Kreml macht mit Angst Politik. Im eigenen Land. Und auch im Ausland. Die Ukrainer haben dieser Bedrohung bisher mit bemerkenswerter Ruhe widerstanden. Wenn sich das ändert, kann Putin einen Krieg gewinnen, ohne ihn überhaupt begonnen zu haben.“
Ein kleiner Krieg passt zu vielen in den Kram
Ein weiteres rhetorisches Eskalieren der Lage ist auch deshalb wahrscheinlich, weil so viele innenpolitisch davon profitieren, meint Népszava:
„Putin reicht die brutale Unterdrückung der Opposition zur inneren Stabilisierung nicht aus, er braucht dazu auch noch imperiales Bewusstsein. ... Die Nato hat endlich wieder einen Sinn verliehen bekommen und Macron hat mit gutem Gespür den perfekt geschnittenen Anzug des europäischen Staatsmannes angezogen, der für den Weltfrieden kämpft. … Auch aus Bidens Perspektive spricht nicht viel gegen einen Krieg, der die Amerikaner von ihren eigenen Problemen ablenken könnte.“
Erst drohen, dann kooperieren
Wolfgang Münchau vom Thinktank Eurointelligence fordert in El País eine zweigleisige Strategie gegenüber Moskau:
„Die wirksamste Maßnahme, die der Westen jetzt, am Vorabend eines möglichen Krieges, ergreifen könnte, wäre eine transparente Darstellung der Sanktionen, die er verhängen wird. Angesichts einer maximalen militärischen Bedrohung sollten wir mit einer maximalen wirtschaftlichen Bedrohung reagieren. ... Gewöhnliche Russen würden verstehen, dass Putins Entscheidung zum Einmarsch für sie mit Kosten verbunden wäre. ... Außerdem sollten wir Russland als Partner betrachten. Die Arktis wird für die USA und die EU immer wichtiger. Langfristig werden wir Wege finden müssen, mit Russland zusammenzuarbeiten. Es ist nicht der Feind.“
Nicht den Musterschüler der USA spielen
Die EU sollte eine eigene Strategie gegenüber Moskau entwickeln, fordert Giorgos Georgiou von der kommunistischen Akel-Partei in Dialogos:
„Leider scheint die EU nicht in der Lage zu sein, auf die großen Fragen des Friedens, der Sicherheit und der Stabilität in der Region zu reagieren. … In der Praxis gehorcht sie nur ihren Meistern, den Amerikanern und der Nato. Einige Länder zeigen sogar mit beneidenswerter Eile, was für Musterschüler sie sind. Gleichzeitig sind sie sich darüber im Klaren, dass ein Konflikt Europa selbst irreparablen Schaden zufügen würde. … Europa muss sich auf seine eigenen Werte besinnen und den Frieden sowie die universellen Ideale verteidigen, bevor es zu spät ist!“
Unnachgiebig bleiben
Die Standhaftigkeit des Westens ist die beste Taktik, meint Tygodnik Powszechny:
„Der endgültige Ausgang des aktuellen Schachspiels wird davon abhängen, inwieweit Putins laufende Einschüchterungsaktion bezüglich der Ukraine und des Westens die gewünschte Wirkung zeigt. Die beste Vorbereitung für ein (hoffentlich) erfolgreiches Endspiel gegen Russland sind daher starke 'Spielfiguren'. Das heißt, Kyjiw weiterhin mit Waffen zu versorgen, westliche Einigkeit und Unnachgiebigkeit zu demonstrieren und ein umfassendes Sanktionspaket vorzubereiten, das sofort aktiviert werden kann.“