Russische Deserteure: In Europa willkommen?
Nach der Teilmobilmachung der russischen Streitkräfte und zunehmenden Ausreisebemühungen Wehrpflichtiger ist in Europa eine Debatte um erleichterte Aufnahmen von Kriegsdienstverweigerern entbrannt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief die Russen auf, sich gegen die Rekrutierung zu wehren und wegzulaufen. Kommentatoren fragen sich, ob man sie mit offenen Armen empfangen sollte.
Fliehende aufnehmen
Wer flüchtende Russen aufnimmt, schadet dem Aggressor, meint The Spectator:
„Wenn der Westen das Putin-Regime wirklich lähmen will, sollte er russische Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen. ... Putin will seine Klügsten, Reichsten und Besten halten. Tatsächlich fürchten viele international gesinnte Russen, dass er die Grenzen des Landes schließen wird. Wenn sich Europa abschottet, macht es sich so zu Putins Handlanger. Boris Johnson hatte recht, als er im vergangenen März forderte, den russischen Präsidenten zu bestrafen, aber die Russen zu unterstützen. Am ehesten schafft man beides, wenn den Menschen geholfen wird, sein scheiterndes, vom Krieg gelähmtes Land zu verlassen.“
Viele könnten sich auf den Weg machen
Die Wiener Zeitung bezweifelt, dass Europa bereit für eine breite Fluchtbewegung aus Russland ist:
„[T]atsächlich fallen ein paar tausend oder auch zehntausende russische Bürger, die sich einer drohenden Einberufung durch das Regime entziehen wollen, weder in Moskau noch in den Fluchtländern groß ins Gewicht. ... Aber was, wenn aus dem Rinnsal ein mächtiger Flüchtlingsstrom wird? Russlands Grenzen nach Europa sind so unendlich lang, dass sich immer ein Schlupfloch findet.“
Angst vor Provokateuren
Õhtuleht zeigt sich skeptisch:
„Wir haben uns vor allem auf die Hilfe für die 57.000 ukrainischen Flüchtlinge zu konzentrieren, die zum Opfer der Aggression geworden sind - das bedeutet hohe Kosten für Estland. ... Zweitens haben russische Touristen, die Estland durchquert haben, eine gleichgültige und überhebliche Einstellung zum Krieg an den Tag gelegt. Auch kann man nicht ausschließen, dass unter den kräftigen Männern, die herkommen würden, auch Provokateure sind, die die Aufgabe haben, die Lage hier zu destabilisieren.“
Fahnenflucht fördern
Eine Chance, Russland zu schwächen, sieht Onet in der Aufnahme von russischen Deserteuren, unabhängig von ihren politischen Ansichten:
„Es geht hier nicht um ein moralisches Urteil, sondern um eine rein pragmatische Betrachtung. So gesehen ist es eines der besten und ältesten Mittel zur Unterminierung der Kampfkraft, feindliche Soldaten (oder künftige Soldaten) zur Desertion zu bewegen. Mit der Ankündigung der Mobilisierung bietet uns Putin diese Gelegenheit auf dem Silbertablett.“
Echte Patrioten unterstützen
Putin-Kritikern sollte man große Freiheiten gewähren, fordert El País:
„Wir müssen zwischen denjenigen unterscheiden, die einem gründlichen Kontroll- und Überwachungssystem unterworfen werden sollten. ... Und denjenigen, die bereit sind, gegen die Diktatur im Kreml zu kämpfen. ... Letzteren sollte man die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen, ihre Vaterlandsliebe zu beweisen, davon ausgehend, dass ein russischer Patriot heute gegen Putin ist. ... Der Anspruch der baltischen Staaten, die eigene Sicherheit durch ein unterschiedsloses Einreiseverbot für Russen zu garantieren, ist illusorisch und kurzsichtig. In der heutigen Welt kann ihre Sicherheit nur auf globaler und europäischer Ebene garantiert werden.“
Russland wird die Grenzen dichtmachen
Ausreichend Gründe, Russland schnell den Rücken zu kehren, sieht Club Z:
„Die Russen wissen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Putin die Grenzen des Landes schließt, um zu verhindern, dass waffenfähige Männer fliehen können. Sie wissen auch, dass die angekündigten Kriterien für die Mobilmachung überhaupt nicht eingehalten werden. Anstatt Männer mit militärischer Erfahrung einzuberufen, werden die Uniformierten einfach alle jungen Männer jagen, die sie auf der Straße sehen - wie sie es auf dem Territorium der 'Republiken' Luhansk und Donezk schon lange tun. ... Was auch immer von nun an in Russland passiert, es wird sehr sehr hässlich.“