100 Jahre Marsch auf Rom
Am heutigen Freitag jährt sich Mussolinis Marsch auf Rom, der Italiens Faschismus 1922 an die Macht brachte, zum hundertsten Mal. Wenige Tage nach Vereidigung der neuen italienischen Regierung unter der postfaschistischen Giorgia Meloni versuchen Kommentatoren zu erfassen, was vom Geiste Mussolinis in Italien und Europa geblieben ist und warum.
Verdrängt und banalisiert
Leider ist Italien unfähig, die Vergangenheit aufzuarbeiten, schimpft La Repubblica:
„Der 28. Oktober ist für Italien der Tag der nationalen Schande. … Das Problem ist, dass es in Italien, anders als in anderen Ländern, kein gemeinsames Bewusstsein für diese Verabredung mit der nationalen Geschichte gibt. Als ob der Übergang vom liberalen zum faschistischen Staat ein einfacher Jahreszeitenwechsel gewesen wäre. ... Als ob das Land sich dieser Erfahrung hingegeben und sich dann von ihr losgelöst hätte, ohne jedoch die Bedeutung und die Spuren dieses historischen Moments in seiner Geschichte vollständig zu begreifen. Die seit zwanzig Jahren andauernde kulturelle Verharmlosung des Faschismus wurde von einer Abwertung des Antifaschismus begleitet, der zu einem rein ideologischen Überbau im Dienste der Kommunistischen Partei Italiens degradiert wurde.“
Vorsicht vor den neuen Faschisten
Was von Mussolini geblieben ist und was sich gewandelt hat, analysiert El País:
„Heute wird oft von der Rückkehr des Faschismus gesprochen, um Phänomene wie die von Giorgia Meloni zu erklären. ... Die brutale Gewalt, die der Duce eingeführt hat, lässt sich nicht unmittelbar auf heute übertragen. ... Wenn der Faschismus ein Schwert war, dann ist dieses Schwert zu einer zähen Masse geworden, die mithilfe der Angst das Bewusstsein von immer mehr Menschen durchdringt. ... Es wird keine Schläge oder Schüsse mehr geben, aber 'das moralische Gewissen, die Mentalität und sogar die intimsten Gefühle' werden verformt [wie der Historiker Emilio Gentile schreibt]. ... Und das ist nicht nur beunruhigend, sondern auch gefährlich.“