Justizreform in Israel: Tag der Entscheidung
Am heutigen Montag soll in der Knesset die endgültige Abstimmung über die umstrittene Justizreform erfolgen. Am Vorabend demonstrierten erneut Zehntausende gegen die geplanten Gesetze, die die Kompetenzen des Obersten Gerichtshofes zugunsten der Regierung einschränken können. Europas Presse ist zutiefst besorgt, sieht aber auch Signale der Hoffnung.
Rückgrat der Zivilgesellschaft erwacht
Ein Abrutschen in die Diktatur wird das Volk nicht hinnehmen, hofft der Historiker Yuval Noah Harari in der Financial Times:
„Die gute Nachricht ist, dass in den letzten Monaten eine starke Widerstandsbewegung zur Rettung der israelischen Demokratie entstanden ist. Hunderttausende Israelis, die die Ideologie einer jüdischen Vorherrschaft ablehnen und sich auf uralte Traditionen jüdischer Toleranz berufen, demonstrieren, protestieren und leisten auf jede erdenkliche gewaltfreie Weise Widerstand. Seit Freitag haben mehr als 10.000 Reservisten der Armee - unter ihnen Hunderte Piloten der Luftwaffe, Experten für Cyber-Kriegsführung und Kommandeure von Eliteeinheiten - öffentlich erklärt, dass sie einer Diktatur nicht dienen werden und sie ihren Dienst aussetzen werden, wenn die Justizreform fortgesetzt wird.“
Eine halbe Demokratie funktioniert nicht
Selbst wenn es zum Kompromiss kommen sollte, steckt Israel in einer schweren Existenzkrise, analysiert der Tages-Anzeiger:
„In der Wirtschaft spürt der Hightech-Sektor den Niedergang bereits durch einen Rückzug von Investitionen, ein Braindrain wird folgen. Auf diplomatischer Ebene ist das Verhältnis zu den Verbündeten von Washington bis hin nach Abu Dhabi gestört. … Ein Ausweg aus dieser existenziellen Krise ist nicht in Sicht, selbst wenn es am Ende noch zu irgendeiner Konsenslösung bei der Justizreform kommen sollte. Weltanschaulich haben sich die beiden Lager so weit voneinander entfernt, dass ein Kompromiss kaum möglich erscheint. Ein bisschen Liberalität reicht nicht, eine halbe Demokratie funktioniert nicht.“