Russland: Regionalwahlen im Kriegszustand
Am Wochenende haben in der Russischen Föderation Regionalwahlen stattgefunden. Unabhängige Beobachter meldeten Unregelmäßigkeiten und bezeichneten die Wahlen als die unfreiesten seit Beginn der Herrschaft von Wladimir Putin vor rund 24 Jahren. Auch in den besetzten Gebieten der Ukraine wurden Wahlen abgehalten. Kommentatoren sparen nicht mit Kritik.
Peinliche Performance
Die Wahlen als Realsatire zu bezeichnen, ist noch deutlich untertrieben, spottet die taz:
„Wäre die politische Lage in Russland nicht so niederschmetternd ... – man würde unweigerlich in Gelächter ausbrechen ob der peinlichen Performance des Kreml namens 'Urnengang'. ... Wieder einmal wurde das gesamte Programm abgespult: Fälschungen, was die Frage nach dem Warum aufwirft. Denn alternative Kandidat*innen, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, durften sowieso nicht antreten. Vielfach wussten viele Russ*innen gar nicht, welche Kandidat*innen sich um welche Posten bewarben – geschweige denn, dass überhaupt eine Abstimmung stattfand. Doch das alles ficht den Kreml nicht an: Seine Partei Einiges Russland hat gesiegt, das Klassenziel ist erreicht.“
Jetzt fehlt nur noch die Einführung von Automaten
Politologe Abbas Galliamow beurteilt die Wahlen in einem von Echo übernommenen Telegram-Post als Probelauf für die Präsidentschaftswahl im März 2024:
„Je gründlicher man den Kessel verlötet, desto stärker wird die Explosion, wenn der Innendruck ein kritisches Niveau erreicht. Ich denke, die eigentliche Strategie von Putins Präsidentschaftswahlkampf wird nicht auf irgendwelchen Inhalten und ideologischen Neuerungen beruhen, sondern auf der völligen Umstellung der gesamten russischen Wahlinfrastruktur auf elektronische Form. Man wird versuchen, Papier-Wahlzettel als solche auszurotten, unter dem Deckmantel der Modernisierung. Dann werden Wahlen wirklich zu einer sinnlosen Prozedur. Etwa so wie im Russischen Reich am Vorabend des Jahres 1917.“
Bitter-fröhliche Wahlen im Gefängnis
Der zu achteinhalb Jahren Haft verurteilte Oppositionspolitiker Ilja Jaschin beschreibt auf Facebook, wie er den Wahlgang hinter Gittern erlebte:
„Wahlen im Gefängnis sind ziemlich unterhaltsam. Dutzende Inhaftierte werden gleichzeitig zu den Urnen geführt, und es bietet sich die seltene Gelegenheit, mit den Nachbarn zu plaudern. ... Die Sträflinge diskutierten fröhlich, wen sie wählen sollten. ... Guten Gewissens schrieb ich auf den Stimmzettel: FÜR EIN RUSSLAND OHNE PUTIN. Danach führte ich am Ausgang des Gefängnis-Wahllokals ein Befragung durch, die ergab, dass die meisten Gefangenen egal wen wählten, solange es nicht die Partei 'Einiges Russland' ist. Nur einer, der selbst Mitglied der Partei ist, gab zu, Sobjanin angekreuzt zu haben. Er hat eine Fabrik bestohlen und sitzt nun wegen Betrugs. Alles hat seine Logik.“