Wohin entwickelt sich Europas Migrationspolitik?
Von umstrittenen britischen Ruanda-Deal über Pushbacks auf Kamera bis zur großen EU-Einigung kurz vor Weihnachten – und dazwischen immer wieder die Nachrichten von im Mittelmeer ertrunkenen Menschen: Nicht zum ersten Mal gehörten Migration und Migrationspolitik zu den Themen, die in ganz Europa für Schlagzeilen und Debatten sorgten. Kommentatoren ziehen Bilanz.
Die Zeichen stehen auf Abschottung
Für das Tageblatt war 2023 migrationspolitisch ein trauriges Kapitel:
„Zwar war eine Reform des europäischen Asylsystems dringend notwendig und längst überfällig. Denn an der Uneinigkeit drohte die Union zu zerbrechen. Was aber die Unterhändler des Europaparlaments, der EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission kurz vor Weihnachten beschlossen haben, ist ein massiver Eingriff in das Asylrecht und ein schwerer Schlag gegen den Flüchtlingsschutz. Die Zeichen in Europa stehen auf Abschottung. ... Die Risiken für die Schutzsuchenden auf ihrem gefährlichen Weg über die Meere oder zu Land werden steigen. Anstatt die Fluchtursachen zu bekämpfen, werden die Flüchtenden bekämpft.“
Fremdenfeindlichkeit wenig entgegen gesetzt
Auch El País sieht überwiegend, aber nicht nur negative Entwicklungen:
„Die neue Wahrheit ist, dass menschliche Mobilität eine Bedrohung sei, die alles rechtfertigt. ... 2023 wird als der Zeitpunkt in die Geschichte eingehen, in dem die Institutionen die Flämmchen [der Ausländerfeindlichkeit] nicht mehr löschten, sondern sich von ihnen anstecken ließen. In Europa, Nordamerika, Afrika und Lateinamerika haben wir einen Dominoeffekt mit schwer umkehrbaren Folgen erlebt. ... Aber 2023 wurde auch die Volksinitiative für die Legalisierung papierloser Migranten im spanischen Parlament eingereicht. ... Man weiß zwar nicht, ob sich die Fraktionen trauen, mehr als 400.000 Frauen, Kinder und Männer davon zu befreien, Bürger zweiter Klasse zu sein. Aber allein die Initiative ist ein Grund, sich an das Jahr zu erinnern.“
Mut zu schwierigen Entscheidungen
Das Thema Migration könnte auch 2024 prägen, prophezeit The Times:
„Die Zahlen schnellen in die Höhe. ... Und es sieht so aus, als ob Wahlen in ganz Europa im nächsten Jahr einwanderungsfeindlichen Parteien Rückenwind geben werden. Die britischen Konservativen hoffen, durch die Betonung des Themas den großen Vorsprung Labours in den Umfragen zu reduzieren. Rishi Sunak und Giorgia Meloni sind sich über die Vorteile einig, die eine Abschiebung von Migranten in Länder, die als freundlich und offen für großzügige Geldzuwendungen gelten, bedeutet. ... Das Thema muss angegangen werden. Wenn die etablierten Parteien schwierige Entscheidungen in der Migrationsfrage vermeiden, werden davon nur die ultranationalistischen Rechten profitieren.“