Großbritannien: Tories drücken Ruanda-Deal durch

Die beiden britischen Parlamentskammern haben nach langem Hin- und Her dem umstrittenen Ruanda-Deal der konservativen Regierung zugestimmt. Im Zuge dessen wurde das Land zum sicheren Drittstaat erklärt, obwohl es das laut Oberstem Gericht nicht ist. Premier Rishi Sunak will die ersten Abschiebeflüge in zehn bis zwölf Wochen starten lassen. Verbreitete Skepsis bei Kommentatoren.

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The Spectator (GB) /

Zum Scheitern verurteilt

Der Plan wird die illegale Migration nicht eindämmen, ist The Spectator überzeugt:

„Es ist offensichtlich, dass der Ruanda-Plan keine dauerhafte Abschreckung in ausreichendem Ausmaß bietet, um Flüchtlinge vor der Einreise in Booten abzuhalten. Das Beste, was Premier Rishi Sunak passieren kann, ist, dass bis zur Parlamentswahl noch nicht erkennbar ist, dass sein Vorhaben gescheitert ist. Daher wäre es nicht verwunderlich, wenn sich die Umsetzung weiter verzögert. Realistisch ist, dass im September ein paar wenige Flüge starten – mit nur ein paar Dutzend Migranten an Bord, die es verabsäumt haben, einen guten Anwalt zu engagieren. Aber sie werden spätestens dann zurückkommen, wenn die Labour Party an der Macht ist und dem Plan den Stecker zieht.“

The Times (GB) /

Dem Vorhaben eine Chance geben

Nichts zu tun, wäre für die britische Regierung keine Option gewesen, verteidigt The Times deren Vorgehen:

„Die Gegner des Gesetzes in den Reihen der Labour Party tun den Ruanda-Plan als teure politische 'Werbemasche' ab. Sie bieten aber keine konkrete Alternative. ... So kostspielig das Abkommen mit Ruanda auch sein mag, nichts zu tun, ist keineswegs kostengünstig und obendrein politisch unhaltbar. ... Letztlich wird der Prüfstein für den Ruanda-Deal nicht die Zahl der dorthin abgeschobenen Asylbewerber sein, sondern die Zahl jener Menschen, die es erfolgreich von illegaler Einwanderung abhält. Es ist ein ehrgeiziger Plan, der es wert ist, in Angriff genommen zu werden.“

Libération (FR) /

Moralisches Versagen

Solche Deals darf die europäische Gesellschaft nicht akzeptieren, kritisiert Libération:

„Wenn man so sehr bereit ist, sein Leben zu riskieren, kann man dann überhaupt von der Möglichkeit, nach Ruanda geschickt zu werden, abgeschreckt werden? Das alles ergibt keinen Sinn, vor allem wenn man sich vorstellt, wie viel man mit den rund 337 Millionen Euro, die dieses Projekt bereits vor dem Start des ersten Flugzeuges kostet, für ein besseres Leben der Briten und Migranten tun könnte. Das Traurigste ist, dass die Briten nicht massenhaft auf die Straße gegangen sind. ... Am beunruhigendsten ist, dass auch Europa selbst immer mehr in Versuchung kommt, Mauern gegen Migranten zu errichten. Das ist die größte Gefahr: der allmähliche Verlust aller Werte, die uns verbinden.“

tagesschau.de (DE) /

Regierung höhlt den Rechtsstaat aus

Sven Lohmann, ARD-Korrespondent in London, kritisiert das Gesetz auf tagesschau.de scharf:

„Das Oberste Gericht in Großbritannien hat erklärt, dass Ruanda für Flüchtlinge kein sicheres Land ist. Von dort fliehen Menschen, auch ins Vereinigte Königreich. Schutzsuchende dürften daher nicht in das afrikanische Land gebracht werden. Den Plan dennoch durchzuziehen funktioniert also nur, wenn man einfach per Gesetz behauptet, Ruanda sei sicher, so wie die Tories es nun machen. ... Aber was, wenn nationale Gerichte das wieder geraderücken? Ein Schuss mehr Skrupellosigkeit ist hier gefragt: Die britische Regierung höhlt deshalb ihren Rechtsstaat aus und verbietet weitgehend Einspruchsmöglichkeiten.“

De Volkskrant (NL) /

Man kann sich auch den Weltfrieden vorlügen

Bissig höhnt die Volkskrant-Kolumnistin Ibtihal Jadib:

„Wenn menschliche Fähigkeiten nicht ausreichen, um gemäß der Wirklichkeit zu leben, dann wird die Wirklichkeit entsprechend für uns angepasst. ... Die britische Regierung machte ein Gesetz und seither ist Ruanda sicher. Ich drücke nun ganz fest die Daumen, dass die Briten genau dasselbe Gesetz machen für die Ukraine, den Sudan, Palästina und Israel, Jemen, Syrien, Haiti, Kongo, Nigeria und Afghanistan. Endlich Weltfrieden.“

Avvenire (IT) /

Europa liebäugelt mit solchen Plänen

Das britische Modell könnte Schule in der EU machen, befürchtet Avvenire:

„Das andere Projekt, das in der EU sehr beliebt ist und London interessiert, ist die viel diskutierte Eröffnung von zwei Migrantenzentren in Albanien, die 3.000 Migranten aufnehmen sollen und eine Milliarde Euro kosten werden. Eine Summe, die besser für die Aufnahme und Integration eingesetzt werden könnte. Die Hoffnung ist, dass niemand in Rom den Plan von Ruanda kopieren will, der nutzlos und kostspielig ist, weil man von den Afrikanischen Großen Seen mit Schleppern leicht in den Norden aufbrechen kann. Flüchtlinge in unsicheren Drittländern auszusetzen, ob es den Regierungen nun gefällt oder nicht, ist eine eklatante Verletzung der Menschenrechte.“