Parlamentswahl in Indien: Wie steht Modi jetzt da?
Nach der Parlamentswahl in Indien sieht sich Indiens Premier Narendra Modi als Sieger, seine dritte Amtszeit gilt als sicher. Allerdings verlor seine hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) viele Stimmen. Ohne die absolute Mehrheit im Unterhaus wird sie künftig auf Koalitionspartner angewiesen sein. Europas Presse bilanziert.
Nun ist Vorsicht angesagt
Modis Herrschaftsstreben hat einen Dämpfer bekommen, schreibt der Politologe Grigori Golosow auf Facebook:
„Modi muss sich nun vorsichtig verhalten, um seine Koalitionspartner nicht zu verärgern und/oder eine Spaltung seiner eigenen Partei herbeizuführen, denn schon ein kleiner Bruch würde ihn aus dem Amt werfen. Bekanntlich hat sich Indien in den letzten Jahren stetig in Richtung Autokratisierung entwickelt. Zu Wahlkampfbeginn gab es bereits schwerwiegende Einschränkungen für die Oppositionsparteien und gezielte politische Repressionen. Doch die Integrität der Wahlen konnte Modi nicht untergraben.“
Eine Ohrfeige für den Premier
Der Dämpfer für Modi könnte seine autoritären Ambitionen bremsen, hofft Gazeta Wyborcza:
„Modi, der seit 2014 an der Spitze Indiens steht, hoffte, mit einem großen Sieg die in der I.N.D.I.A-Allianz unter Führung der Kongresspartei [INC] von Rahul Gandhi zusammengeschlossene Opposition endgültig besiegen zu können. Letztere setzt sich für ein tolerantes, multikulturelles und multireligiöses Indien und für soziale Gerechtigkeit ein. Modis schlechtes Ergebnis bedeutet, dass der Weg Indiens zu einem Einparteienstaat gestoppt wurde, wie Kommentatoren betonen. ... Es ist eine Ohrfeige für den 73-jährigen Modi, der während des Wahlkampfs in Selbstherrlichkeit verfallen war und behauptete, er sei nicht von einer Frau geboren, sondern von einem Gott auf die Erde geschickt worden.“
Opposition verdient Beifall
Das Wahlergebnis bietet die Chance, die Erosion der Demokratie in Indien zu stoppen, ergänzt The Guardian:
„Es ist möglich, dass Modi nun versuchen wird, seinen Autoritarismus zu stärken. ... Aber ohne eine große Mehrheit kann er nicht die Verfassungsänderungen durchsetzen, von denen viele befürchteten, dass er sie anstrebt. Jetzt, da er sich nicht mehr so unbesiegbar fühlen kann, sind Politiker, Geschäftsleute, Beamte und Fernsehsender vielleicht weniger bereit, nach seiner Pfeife zu tanzen. All diejenigen, die sich Modis Eingriffen in die indischen Institutionen und demokratischen, säkularen Traditionen widersetzt haben – mutige Aktivisten, Journalisten, Anwälte und die Wähler selbst –, verdienen Beifall. Sie haben der Demokratie eine zweite Chance gegeben. Diese muss nun ergriffen werden.“
Ende der Modimania
Der Premier hat seinen Zauber verloren, beobachtet Les Echos:
„Diese Wahl markiert das Ende der 'Modimania': eine Mischung aus hindu-nationalistischer Kultur verbunden mit einem Hauch von Größenwahn. Man sah den Premier Masken mit seinem Porträt verteilen, als Hologramm erscheinen und weit häufiger Ansprachen an das Volk halten, als an kontroversen Debatten teilzunehmen. Mit seinen 73 Jahren wird Narendra Modi weiter regieren können. Doch der Zauber ist gebrochen. Er, der die Wirtschaft des Landes angekurbelt und es wieder auf die internationale Bühne gebracht hat, wird schnell das Vertrauen der Finanzwelt zurückgewinnen müssen.“
Die Armen haben es entschieden
Indiens stärkster Mann wurde von den Schwächsten abgestraft, kommentiert Korrespondentin Laura Höflinger im Spiegel:
„In Indien sind es traditionell vor allem die Armen, die wählen. Für sie ist es oft buchstäblich der einzige Moment, in dem ihre Stimme etwas zählt. Vor allem bei ihnen und in ländlichen Gebieten hat die BJP Sitze verloren. In Uttar Pradesh etwa, Indiens bevölkerungsreichstem und damit politisch wichtigstem Bundesstaat, sieht es so aus, als müssten die Hindunationalisten fast die Hälfte der Sitze abgeben. Die Armut ist hier höher als in anderen Teilen des Landes, die Bildung niedriger, die Chancen rarer. Indiens Wähler mögen in vielen Fällen arm sein. Aber sie sind zu schlau, um sich veräppeln zu lassen. Die Ungleichheit, die das Land durchzieht, ist hier für jeden, der ein Handy hat, und das sind die meisten, sichtbar.“
Regionale Hochburg der Demokratie
Die Demokratie in Indien ist robuster, als viele denken, meint Der Standard:
„Die demokratische Mega-Übung ist wie schon so oft in der über 75-jährigen Geschichte des unabhängigen Indiens geglückt. Mögliche Wahlmanipulationen sind kein größeres Thema. Und das Ergebnis, das wohl weit entfernt von den Wünschen der Regierungspartei liegen wird, zeigt, dass indische Wähler und Wählerinnen sehr genau wissen, was sie wollen, und auch Möglichkeiten haben, ihre Stimme nach eigenem Gutdünken abzugeben – egal wie groß der Druck durch mediale Propaganda oder Einschüchterungsversuche ist. Bei einer Wahlbeteiligung von deutlich über 60 Prozent bleibt Indien eine regionale Hochburg der Demokratie.“