Frankreich weiter ohne Regierung

Auch anderthalb Monate nach dem Wahlsieg des Linksbündnisses NFP zeichnet sich in Frankreich keine Regierungsbildung ab. Am Freitag soll Präsident Macron nun NFP-Premierkandidatin Lucie Castets empfangen, eigentlich strebt sein Lager eine "republikanische Front der Mitte" an, um eine Regierungsbeteiligung der linkspopulistischen LFI zu verhindern, die Teil des NFP ist. Der Geduldsfaden der Kommentatoren ist unterschiedlich lang.

Alle Zitate öffnen/schließen
Le Point (FR) /

Besser gar keine Regierung als eine schlechte

Die regierungslose Zeit hat auch ihre Vorzüge, betont Le Point:

„Wir mussten bis 2024 warten, um die Vorteile einer langen Übergangsphase zu erkennen: Ohne ein Kabinett, das den Wählern täglich den Nutzen seiner Existenz beweisen möchte. Ohne ein 'großes Gesetz', das im Parlament diskutiert wird. Ohne einen 'großen Plan', der [im Amtssitz des Premiers] in Matignon ausgeheckt wird. Ohne eine 'große Reform', die zur Rentrée [nach den langen Sommerferien] aus der Schublade gezogen wird. ... Die Bürger können ruhig schlafen und der Wirtschaft kann es auch nur guttun. Es ist wahr, dass es besser ist, gar nicht regiert zu werden, als schlecht regiert zu werden.“

Le Figaro (FR) /

Verschleppung wird Problemen nicht gerecht

Le Figaro drängt auf mehr Tempo:

„Die Abgeordneten genießen ihren Urlaub und unter den Franzosen, die noch immer von den erfolgreichen Olympischen Spielen ohne Regierung begeistert sind, breitet sich Gleichgültigkeit aus. Warum nicht einfach so weitermachen? Das ist eine gefährliche Illusion. Denn in Wirklichkeit sind die Herausforderungen für Frankreich riesig: Haushaltskonsolidierung, Wohnungsnot, Kampf gegen illegale Einwanderung, Reindustrialisierung, Unterstützung von Schulen und Krankenhäusern, ökologischer Wandel... Unser Land braucht eine Regierung. Und zwar schnell.“

Efimerida ton Syntakton (GR) /

Die Krise des Parlamentarismus ist offensichtlich

Efimerida ton Syntakton staunt:

„Entspannt präsidiert und regiert Präsident Macron, als wäre nichts geschehen, als hätte es keine Wahlen gegeben, als gäbe es keine Regierung, keinen Premierminister, kein Parlament, keine politischen Parteien: 'Der Staat bin ich!' Dieses Frankreich bleibt ein 'Beispiel', aber eines für ein allgemeines Phänomen der letzten zwanzig Jahre, das durch die Krise der bürgerlichen repräsentativen Demokratie und des liberalen Parlamentarismus gekennzeichnet ist. ... Nach der Auflösung des Parlaments und der Ausrufung von Neuwahlen, die er verursacht hat, sagt uns Macron unverblümt und frech, dass das Funktionieren der 5. Französischen Republik weder Wahlen noch Parlament noch politische Parteien erfordert.“

L'Opinion (FR) /

Stillstand ist keine Option

Jetzt gilt es Nägel mit Köpfen zu machen, fordert L'Opinion:

„Nicht abwarten, es sei denn, es geht darum, den RN zu stärken. Das erbärmliche Spektakel auf der Linken und der Versuch aus dem Zentrum, die Abgeordneten der extremen Rechten auszugrenzen, können die Wut einer ebenso betrübten wie empörten Wählerschaft nur noch weiter schüren. Nicht abwarten, denn Stillstand ist keine Option. Das Land kann sich keine Haushaltskrise leisten. ... Schließlich hat der Präsident den Zeitpunkt der Parlamentsauflösung allein bestimmt. Er hat verloren. Und wenn er noch glaubt, dass er diese Niederlage in einen Sieg verwandeln kann, darf er dies nicht versuchen, indem er eine bequeme Verzögerung inszeniert – das geht auf Kosten republikanischer Traditionen.“

La Croix (FR) /

Lieber eine reife als eine schnelle Entscheidung

Demokratische Prozesse erfordern Zeit, beschwichtigt La Croix:

„Die Folge der Ereignisse erinnert lediglich daran, dass die Wahl eines Premierministers, der Aufbau einer Koalition und die Ausarbeitung eines Regierungsvertrags nicht an einem Tag erledigt sind. ... Gewiss ist eine starke Exekutive, die über eine absolute Mehrheit verfügt, effizienter. Aber so ist das nun mal, Demokratie besteht auch aus endlosen Diskussionen und unerfüllten Versprechen. Aus Regeln und Gegengewichten, die die Entscheidungsfindung verlangsamen. ... Das derzeitige Durcheinander ist zweifellos eine notwendige Reifezeit. Es wird zu einer sehr ergiebigen Investition werden, wenn die Verhandlungen erst einmal wirklich in Gang kommen.“