London und Berlin wollen enger zusammenrücken
Großbritanniens Premier Keir Starmer möchte ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen seinem Land und Deutschland aufschlagen. Der Neustart solle allerdings nicht den Brexit umkehren, erklärte er bei seinem Antrittsbesuch in Berlin. Geplant sind engere Kooperationen insbesondere in den Bereichen Handel, Verteidigung und Migration. Kommentatoren debattieren, was das für die beiden Nationen und für Europa bedeutet.
Endlich Tauwetter
Dass die britische Labour-Regierung eine Annäherung an die EU vorantreibt, begrüßt The Independent:
„Europabefürworter haben nun allen Grund, optimistisch zu sein. Die britische Europapolitik hat eine Kehrtwende vollzogen und geht wieder eindeutig in Richtung einer engeren Integration. Die Anziehungskraft des größten Handelspartners des Vereinigten Königreichs macht sich erneut bemerkbar. Sie wird nicht stark genug sein, um den Schaden, den der Brexit verursacht hat, rückgängig zu machen. Doch sie wird den unvermeidlichen Prozess der Wiederannäherung einleiten, wobei die wirtschaftlichen Erfordernisse durch zunehmend akute Sicherheitsbedenken verstärkt und überschattet werden.“
Noch ist nicht alles wieder eingerenkt
Für die Neugestaltung der Beziehungen ist mehr gefordert als guter Wille, bremst die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„[Starmer] muss ... sich jeden Annäherungsschritt an die EU genau überlegen. Nicht nur die üblichen Verdächtigen stehen bereit, ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Auch in der eigenen Partei hat es der Premierminister nicht gerade mit überzeugten Liberalen zu tun, wenn es um Handel und ähnliches geht. Die wieder betonte Freundschaft zwischen London und Berlin ist zwar ein Wert an sich. Bis sie sich materialisiert, wird aber wohl noch reichlich Wasser die Spree und die Themse hinunterfließen.“
Paris wird Annäherung torpedieren
Die Interessen von Deutschland und Frankreich unterscheiden sich, erklärt The Times:
„Scholz ist ein persönlicher Verbündeter Starmers. Schon vor dessen Wahlsieg im vergangenen Monat gab es erste informelle Gespräche. Aber Scholz' Einfluss ist begrenzt. Sein politischer Stern ist verblasst, und Brüssel hat konkrete 'offensive Interessen', nach dem Brexit mit Labour über die Lockerung des Handels zu sprechen. ... Wie frühere britische Premiers feststellen konnten, ist das exportorientierte Deutschland immer vergleichsweise offener für Handelserleichterungen. Doch Frankreich, das Chancen sieht, Großbritannien von den europäischen Märkten fernzuhalten, wird den Status quo aggressiv verteidigen.“