Kritik an freigelassenen Putin-Gegnern
Die russischen Oppositionellen, die vergangene Woche durch einen Häftlingsaustausch das Land verließen, haben dazu aufgerufen, Russen nicht pauschal als Kriegsbegeisterte und Putin-Anhänger zu sehen. Wladimir Kara-Mursa kritisierte außerdem die westlichen Sanktionen als ungerecht, da sie alle einfachen Menschen in Russland träfen. Diese Aussagen haben insbesondere in der Ukraine eine lebhafte Debatte entfacht.
Was ist mit der kollektiven Verantwortung?
Die Chefredakteurin von Ukrajinska Prawda, Sewhil Mussajewa, kritisiert auf Facebook die Aussagen der freigelassenen Putin-Gegner:
„Selbst die besten der 'guten Russen' vermeiden den Begriff der kollektiven Verantwortung. In ihrer idealen Vorstellungswelt ist es das vergängliche 'Putin-Regime', das unter den westlichen Sanktionen leiden soll. ... Der Durchschnittsrusse sei aber ein Opfer dieses Regimes. ... Dass die Ukrainer in der Ukraine nicht von Schoigu, Putin oder von einem Alischer Usmanow, sondern von einem konkreten Wolodja Iwanow aus Perm oder Rjasan getötet werden, wollen die politischen Gefangenen und regimekritischen Intellektuellen aus irgendeinem Grund nicht begreifen. Oder zugeben.“
Verbündete im Kampf gegen das Regime
Trotz unterschiedlicher Sichtweisen sollten die Ukrainer mit den russischen Oppositionellen zusammenarbeiten, schreibt der ehemalige ukrainische Botschafter in den USA, Walerij Tschalyj, in Espreso:
„Ich bin sicher, dass man mit solchen Menschen reden und sie überzeugen kann. Es gibt keine 'guten oder schlechten Russen'. Es gibt Verbrecher. Es gibt eine unterwürfige Mehrheit und es gibt auch jene, die nicht völlig auf die russische Propaganda hereingefallen sind. Sie sind entweder im Gefängnis oder im Ausland. Sie werden niemals die ukrainischen nationalen Interessen unterstützen. Aber in unserem gemeinsamen Kampf gegen das russische Regime müssen wir gemeinsam nach wirksamen Wegen suchen.“
Imperialismus hat Opposition tief durchdrungen
Der Philosoph Wadim Schtepa, der 2015 Russland verlassen musste, kritisiert die russische Exil-Opposition in Eesti Päevaleht hart:
„Paradoxerweise unterstützen sie größtenteils das gleiche Imperium, das Putin aufbaut. Ja, sie verurteilen den derzeitigen totalen Krieg gegen die Ukraine, aber es gibt keine Garantie dafür, dass sie, wenn sie im Kreml ankommen, ihn stoppen werden. ... Die heutigen Oppositionellen bringen es nicht über die Lippen, sich 'antirussisch' zu nennen. Sie sind für dasselbe imperiale Russland und Putin ist für sie kein ideologischer Grundsatzgegner, sondern ein Usurpator, der den Kreml besetzt hat und sie nicht auf den Zarenstuhl lassen will.“
Wer gewählt werden will, darf nicht zu kritisch sein
Klare Aufrufe zur Unterstützung der Ukraine kann man von den Oppositionellen nicht erwarten, meint der Journalist Alexander Schmelew in Echo:
„Das einzige befriedigende Ergebnis kann nur die umfassende Niederlage, Zerschlagung und Bestrafung des Aggressors sein. Alles andere sind halbherzige Maßnahmen. ... Dessen ungeachtet kann man sich keinen RUSSISCHEN POLITIKER vorstellen, der etwas Ähnliches sagt und dabei die Chancen auf irgendwelche Wahlperspektiven in Russland wahrt – ob heute, ob irgendwann in der Zukunft, und sei das in 30 oder 40 Jahren.“