Russland: Verteidigungsminister Schoigu abgelöst
Zu Beginn seiner fünften Amtszeit hat Präsident Wladimir Putin den seit 2012 amtierenden Verteidigungsminister Sergej Schoigu abberufen und überraschend den bisherigen Ersten Vizepremier Andrej Beloussow auf diesen Posten ernannt. Die Presse beleuchtet, warum der Kreml seine Armee mitten im Ukraine-Krieg einem zivilen Wirtschaftsprofi anvertraut.
Die Aufgabe: Aufrüsten, ohne zu kollabieren
Die russische Führung weiß, dass eine fehlgeleitete Rüstungspolitik das Land in die Knie zwingen könne, glaubt Rzeczpospolita:
„Schoigu wurde aufs Abstellgleis befördert. Sein Platz wurde von einem zivilen Technokraten, Andrej Beloussow, eingenommen, der die russische Armee und Wirtschaft auf einen langen Krieg vorbereiten soll. ... Die aus dem KGB stammende Kreml-Clique hat im Hinterkopf, dass die UdSSR unter der Last des ihr von US-Präsident Ronald Reagan auferlegten Rüstungswettlaufs zusammengebrochen ist, und will dies heute um jeden Preis vermeiden.“
Streben nach Autarkie im Krieg der Ressourcen
Die Ernennung eines zivilen Ökonomen ist kein Zeichen der Entspannung, befürchtet auch La Stampa:
„Der neue Erste Vize-Ministerpräsident Denis Manturow erklärte gestern in der Duma, die russische Militärindustrie habe seit 2023 500.000 neue Arbeitskräfte eingestellt, 850 ehemalige zivile Fabriken umgewandelt und die Löhne um 30 bis 60 Prozent erhöht. Die militarisierte Wirtschaft erfordert einen Minister, der die Fabriken, die Armee und die Regierung zusammenbringt, für das, was sich nach der Zuteilung der US-Hilfe für die Ukraine zu einem Krieg der Mittel und Ressourcen entwickelt. Selenskyj setzt auf den Westen, Putin setzt jetzt auf Autarkie nach sowjetischem Vorbild.“
Akzeptanz-Probleme in der Truppe absehbar
Wirtschaftsexperte Sergej Alexaschenko hält es in einem von Echo übernommenen Substack-Text für möglich, dass die Generalität gegen ihren neuen Chef Beloussow rebelliert:
„Diese Ernennung birgt große Risiken für Putin. Zum einen ist es unwahrscheinlich, dass die Militärs einen Mann, der noch keinen Tag in der Armee gedient hat, als Vorgesetzten respektieren und ernst nehmen. Putin hat diese Erfahrung bereits gemacht, als der von ihm ernannte [Schoigu-Vorgänger Anatoli] Serdjukow fast den gesamten Generalstab gegen sich aufbrachte. Beloussow ist ein viel charakterstärker Beamter, der nicht dazu neigt, andere Meinungen zu akzeptieren. Deshalb schätze ich die Chancen für eine 'Revolte' der Generäle recht hoch ein.“
Absetzung kommt nicht überraschend
Laut Spotmedia stand Schoigu schon lange im Kreuzfeuer:
„Vor allem zu Beginn der Ukraine-Invasion ist die Armee für ihre mangelhafte Ausstattung, Koordination und für ihren fehlenden Professionalismus kritisiert worden. Seither erlebte Putin einen gescheiterten Aufstand der Wagner-Söldner, deren Chef Jewgeni Prigoschin einen persönlichen Groll gegen Schoigu hegte. Kürzlich wurde das Verteidigungsministerium von einem Korruptionsskandal auf höchster Ebene erschüttert, in den Schoigus Stellvertreter involviert ist - was Fragen aufwarf, da dessen Reichtum seit Jahren bekannt war. Schon da wurde spekuliert, ob es sich um einen Kampf zwischen rivalisierenden Clans handelt oder sogar um ein Zeichen, dass Schoigus Absetzung bevorsteht.“
Mobilmachung der Wirtschaft im Dienste der Armee
Politologe Abbas Galliamow erklärt auf Facebook, warum mit Beloussow ein Kenner der Wirtschaft zum Verteidigungsminister gemacht wurde:
„Die Ernennung von Beloussow ist viel interessanter [als Schoigus Postenwechsel]. Meines Erachtens geht es dabei darum, dass dieser die für einen langwierigen Krieg erforderlichen Ressourcen beschafft. Beloussow ist ein bekannter Verfechter der Mobilisierungswirtschaft im Sinne von 'Alles für die Front, alles für den Sieg'. Er kennt die ökonomischen Verhältnisse gut, so dass es für seine zivilen Kollegen schwer sein wird, ihm etwas zu verheimlichen. Der neue Verteidigungsminister wird alles, was nicht niet- und nagelfest ist, einsatzfähig machen.“
Was passiert mit der Grauen Eminenz Patruschew?
Corriere della Sera beleuchtet die Ablösung von Nikolai Patruschew als Leiter des Sicherheitsrats:
„Schoigu löst Nikolai Patruschew ab, der wie Putin beim KGB aufgewachsen ist und möglicherweise zu viel Macht und Autonomie erlangt hatte. Seit einiger Zeit kursiert gar das Gerücht, sein Sohn sei bereits als Kandidat für die Nachfolge des Präsidenten ausgemacht worden. Ein Gerücht, das Putin vielleicht verärgert hat. Noch ist nicht geklärt, um welches 'wichtige Amt' es sich handelt, das Patruschew antreten soll. Es könnte das des Vizepräsidenten des Rats selbst sein oder die Leitung der Kremlverwaltung ... In dieser Position wäre Patruschew näher an Putin und unter seiner direkten Kontrolle.“