Tritt Großbritannien aus der EU aus?
Zwei Monate vor dem Referendum warnt nach Barack Obama auch die OECD vor einem Brexit. Ihr zufolge müssten die Briten mit großen finanziellen Belastungen rechnen. Kommentatoren nehmen die britische Kampagne unter die Lupe und vermissen dabei eine ernsthafte Debatte über die Zukunft Europas.
Brexit-Befürworter sollten Le Pen nicht schmähen
Führende Vertreter des britischen Brexit-Lagers wie Justizminister Michael Gove wollen einen Besuch der ebenfalls EU-kritischen Front-National-Vorsitzenden Marine Le Pen verhindern. Was spricht gegen diesen Schulterschluss?, fragt The Times:
„Wenn die Austrittsbefürworter beim Referendum siegen wollen, müssen sie Mahnungen im Stile Goves sein lassen. Sie müssen erkennen, dass sie viel mit Le Pen gemein haben und ans Eingemachte gehen: Sie sollten sich die weit verbreitete und wohl begründete Annahme zunutze machen, dass Multikulti tot ist. Sie sollten die durch die Identitätskrise junger Muslime verursachten Spannungen ansprechen und versuchen, vom Zorn auf die engstirnigen EU-Eliten zu profitieren. ... Vielleicht wird es mit dem Brexit im Juni letztlich nichts werden. Doch seine Unterstützer können von Politiker wie Le Pen lernen, wenn sie versuchen, neue Antworten auf den Verfall der Nachkriegsideale und der Institutionen Europas zu finden.“
EU muss auch Forderungen an London stellen
Der frühere französische Botschafter in Großbritannien Gérard Errera bemängelt in Le Figaro, dass die EU in den Brexit-Verhandlungen nur als Gebende und nicht als Fordernde aufgetreten ist:
„David Cameron hatte so großen Bedarf, den Status Großbritanniens neu zu verhandeln. Da wäre es mehr als gerechtfertigt gewesen, ihn im Gegenzug zu bitten, klarzumachen, welche Vision für die EU er hat und welche Rolle sein Land seiner Meinung nach künftig in dieser spielen soll. … Dass niemand ernsthaft erwogen hat, die Verhandlungen auf diesen Bereich auszuweiten, sagt viel aus über den Zustand der Europäischen Union. Gewiss wäre der Austritt Großbritanniens ein beachtlicher Verlust für die EU - allerdings nur unter der Voraussetzung, dass das Königreich ein echter Partner wäre, der seine Ressourcen - und Gott weiß, dass das Land welche hat - gerne einem solidarischeren und glaubwürdigeren Europa zur Verfügung stellt, das damit seine Interessen in der Welt besser verteidigen könnte.“
Wo bleibt der echte Dialog über Europa?
Das bevorstehende Brexit-Referendum wäre ein guter Moment, um einen echten Dialog über Europa zu starten, mahnt Publizistin Naema Tahir in ihrer Kolumne in Trouw:
„Ich habe ein großes Bedürfnis nach Besinnung. Nach Argumenten. Von Befürwortern und Gegnern. Ich will gut untermauerte Artikel lesen über die Vorzüge und Nachteile Europas. ... Doch stattdessen sehe ich ein Europa, das immer mehr in zwei Lager auseinanderfällt. Das pro-europäische Lager sieht sich selbst als den wohlmeinenden Teil der Menschheit. Es hat nichts als Geringschätzung übrig für das andere Lager, das als irrational und ressentimentgetrieben gesehen wird. ... Das antieuropäische Lager wiederum hat eine tiefe Abneigung gegen die Pro-Europäer und hält diese für elitär und undemokratisch. ... 'Miteinander ins Gespräch kommen' - wie oft hört man diesen Spruch. Es wird höchste Zeit, dass wir das auch mal über Europa tun. Sonst ist der Laden irgendwann nicht mehr zusammenzuhalten.“
Briten werden ärmer nach Brexit
Nach einem Bericht des britischen Finanzministeriums hätte ein Austritt aus der EU schwere finanzielle Folgen für das Land. Es ist gut, dass die Regierung in der Brexit-Debatte die Geldkarte zieht, betont De Volkskrant:
„Das Argument des Brexit-Lagers, dass das Vereinigte Königreich auch außerhalb der EU weiter vom unbegrenzten Zugang zum Binnenmarkt der 500 Millionen EU-Bürger profitieren kann, wird überzeugend widerlegt. Es ist auch logisch, dass Brüssel einen Preis mit dem Brexit verknüpft - und wäre es nur um zu verhindern, dass andere EU-Staaten einem britischen Auszug folgen könnten. ... Ein wichtiges Argument für die Briten, um in der EU zu bleiben, ist natürlich, dass sie dann weiter die Politik der Union, die ja auch geopolitisch Gewicht hat, beeinflussen können. Doch leider interessiert das nur wenige Briten. Desto wichtiger ist es, sie zu überzeugen, dass sie bei einem Brexit auf Dauer ärmer werden als jetzt als EU-Mitglied.“
Brexit wäre vor allem für Osteuropa schlecht
Sollte es zu einem Brexit kommen, könnte die EU zerfallen, was vor allem für Mittel- und Osteuropa von Nachteil wäre, meint die ungarisch-sprachige slowakische Tageszeitung Új Szó:
„Über einen Brexit würde Moskau am meisten jubeln. Am Schlimmsten träfe er aber Ostmitteleuropa, weil er in der Region eine Lawine lostreten könnte. Mehrere osteuropäische Länder haben bereits durchblicken lassen, dass auch sie aus der EU austreten könnten. Camerons Hasardspiel könnte also zum Zerfall der gesamten Union führen. ... Den größten Schaden davon würden zweifelsohne die Osteuropäer davontragen, ist doch davon auszugehen, dass die westlichen EU-Mitgliedstaaten rasch wieder eine neue Integration in die Wege leiten würden. Bei der Schaffung einer neuen Union und eines neuen Schengen-Raums würde Osteuropa wohl außen vor bleiben. Nicht zuletzt auch deshalb, weil das Gros der politischen Entscheidungsträger der Region nicht unbedingt als Bannerträger der europäischen Einheit gilt.“
Briten sollten dieser EU den Todesstoß versetzen
Dass die EU sich nach einem Votum für den Brexit wieder in eine losere Staatengemeinschaft verwandelt, hofft das liberale Onlineportal TheJournal.ie:
„Die EU ist veränderbar, so dass sie demokratiepolitisch stärker zur Verantwortung gezogen werden kann und für die Bedürfnisse der Bürger empfänglicher wird. Letztere haben sich schon vor Jahren, schon vor der Wirtschaftskrise, von der Vorstellung einer immer weiter zusammenwachsenden Union losgesagt. ... Europas Bürger, angefangen bei den Briten, müssen dieser EU den Todesstoß versetzen. ... Wir müssen die Uhren zurückdrehen, wenn auch nur ein klein wenig. Nicht in eine Zeit des hurrapatriotischen Eigensinns, sondern in eine Zeit der Ideale des Freihandels, als wir gute Nachbarn waren und gar nicht erst so taten, als wären wir enge Familienmitglieder.“
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