Folgt auf den Brexit die nächste Finanzkrise?
Zwei Wochen nach dem Brexit-Referendum gibt es erste Anzeichen für eine neue Finanzkrise in Großbritannien und der EU: Das britische Pfund verliert an Wert, Investoren ziehen sich aus britischen Immobilienfonds zurück, Bankenaktien auf dem Kontinent verlieren an Wert. Kommentatoren schlagen Alarm und fordern Maßnahmen, die einen Schock wie 2008 verhindern.
Italiens Geldhäuser gefährden Eurozone
Vor allem von Italiens Banken geht eine Gefahr für die Eurozone aus, warnt die Wirtschaftszeitung Kauppalehti:
„Das Problem ist, dass viele Italiener in Schuldscheine der Banken investiert haben, ohne ihre Risiken zu verstehen. Renzi will die Bürger nicht verärgern, insbesondere nicht vor dem im Herbst anstehenden Referendum über die neue Verfassung. Renzi hat versprochen zurückzutreten, falls er die Abstimmung verliert. Er hat Flexibilität bei den EU-Regeln gefordert, damit Italien öffentliche Mittel zur Kapitalisierung der Banken nutzen kann. ... Die EU steht dem Vorschlag Renzis zurückhaltend gegenüber. ... Für die Probleme der italienischen Banken muss eine Lösung gefunden werden, möglichst eine nationale. ... Europa kann sich eine neue Bankenkrise nicht leisten. ... Man mag sich gar nicht vorstellen, was es für Italien und die Eurozone bedeuten würde, sollte Renzi das Referendum im Herbst verlieren.“
Bankenunion ohne stabiles Fundament
Zwar hat sich der Euroraum neue Instrumente gegeben, um einer erneuten Bankenkrise zu begegnen, doch ein wichtiges Glied fehlt in der Kette, warnt Corriere della Sera:
„Die institutionelle Wende, die sich in der Währungsunion vollzogen hat, scheint keine Abhilfe zu schaffen. Die zentrale Aufsicht wurde nach Frankfurt verlegt und obliegt der Europäischen Zentralbank. In Brüssel wurde ein Gremium zur Einheitlichen Bankenabwicklung ins Leben gerufen. ... Dennoch bleibt ein offenkundiges Ungleichgewicht bestehen, das die gesamte Architektur des Euro ohne Fundament lässt: alle Entscheidungsbefugnisse sind von den Staaten an die Zentrale abgegebenen worden. Doch wenn Frankfurt Druck macht, um die Banken zu stärken oder sie abwickeln zu lassen und der Markt sich weigert, frisches Kapital bereitzustellen, sind den Staaten die Hände gebunden. Was fehlt ist eine gemeinschaftliche Abwicklungsfinanzierung, gegen die sich Deutschland stemmt, in der Angst, für die Problem anderer aufkommen zu müssen. So bleiben die Banken fragil, das System gelähmt.“
Europas Banken erneut vor dem Abgrund
Dass die Aktienkurse italienischer und spanischer Kreditinstitute sowie die der Deutschen Bank fallen, ist nach Ansicht der Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore eindeutig eine Folge des Brexit-Votums:
„Die Brexit-Propaganda vor dem britischen Referendum wollte die Wähler überzeugen, dass mit einem EU-Austritt alles beim Alten bliebe. Doch die Finanzmärkte sind anderer Meinung. Das verdeutlichen der tiefste Stand des Pfunds seit 31 Jahren, die Lockerung der Kreditvergaben für die Banken durch die britische Notenbank und fünf Immobilienfonds, die den Handel mit Fondsanteilen einstellen. Leider hat die Epidemie den Ärmelkanal überquert. Waren die Aktien italienischer Banken das leichteste Opfer, so haben die Märkte rasch begriffen, dass das Problem ein europäisches ist. ... Acht Jahre nach dem Ausbruch der globalen Finanzkrise ist es an der Zeit, dass Europa die Existenz und die Dimension der Bankenkrise begreift und folgerichtig handelt - und zwar rasch.“
EU darf Briten nicht in die Krise folgen
Angesichts der wachsenden Gefahren auf den Finanzmärkten muss die Politik endlich handeln - sowohl in Großbritannien als auch in der EU, drängt Libération:
„Abgesehen von technischen Notmaßnahmen gibt es nur eine Reaktion auf diese Bedrohung: eine klare Haltung der politischen Entscheidungsträger, die den wirtschaftlichen Akteuren eine verlässliche Planungssicherheit bietet. Das souveräne Volk hat abgestimmt. ... Daher müssen die britischen Regierenden endlich die Austrittsprozedur aktivieren und schnellstens deren Ablauf klären. Die Europäer hingegen müssen zu einer kohärenten Politik finden, ohne die sie nicht in der Lage sein werden, eine weitere Krise zu bewältigen - sollte diese wirklich ausbrechen. Es steht den Engländern frei, sich in den Ruin zu stürzen. Nichts zwingt uns jedoch dazu, ihnen zu folgen.“
Panik geht auf das Konto der Brexit-Pyromanen
Nun wird offensichtlich, wie sehr das Brexit-Lager mit falschen Versprechungen hantiert hat, stichelt Le Figaro:
„Bislang sind die sehr geringen Anzeichen relativ begrenzt und haben wider Erwarten keinen entsetzlichen Dominoeffekt ausgelöst. Sie verdeutlichen jedoch die Anfälligkeit der Märkte, denen die EZB unter die Arme greift, indem sie Riesenmengen an Liquiditäten in Europa ausschüttet und Nullzinsen garantiert. Unübersehbar ist dabei die Schuld der Brexit-Pyromanen, die den Wählern diese Wahrheit vorenthalten haben. Was sie als Formalität präsentiert haben, die Großbritannien in eine Phase des Wohlstands führen sollte, kündigt nun eher eine wirtschaftliche Rezession und eine Finanzkrise an. Dies sollte eine Warnung an all jene sein, die anderswo das gleiche Experiment wagen wollen.“