Renzi beklagt deutsche Vorherrschaft in EU
Italiens Premier Matteo Renzi hat die Rolle Berlins in der EU als zu dominant kritisiert. "Europa muss 28 Ländern dienen, nicht nur einem", sagte er der Financial Times am Montag. Renzi nimmt den Kampf gegen die anachronistische deutsche Sparpolitik auf, loben einige Kommentatoren. Andere sehen die Kritik an Deutschland als billiges Mittel zum Stimmenfang.
Deutschlandschelte ist gerechtfertigt
Renzis Analyse, Berlins dominante Politik sei für die Krise in europäischen Nachbarstaaten verantwortlich, ist zutreffend, meint die liberale Wiener Zeitung: "'Europa muss für alle 28 da sein' ist ein wahrer Satz. Der Satz des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble beim CDU-Parteitag, dass halt die 'Schlechteren besser werden müssen', zeigt das Dilemma. Deutschland ist für deutsche Europapolitiker der Mindeststandard. Das ist anmaßend. ... Würden alle EU-Länder so funktionieren wie Deutschland, wäre das Modell EU am Ende. 28 Top-Exportnationen würden mit ihren Waren eine Welt überschwemmen, die sich dagegen massiv wehren würde. Weltwirtschaftliches Chaos wäre die Folge. Renzi hat also recht mit seiner Diagnose. Die Arznei wären eine europäische Wirtschaftspolitik und ein europäischer Finanzausgleich. Das gefällt den Deutschen nicht, aber genau deswegen sollte ihre Macht gestutzt werden."
Italiens Kurswechsel erfordert Partner
Italien hat am Dienstag seinen Haushalt für 2016 verabschiedet, der ein höheres Defizit als geplant vorsieht. Rom sollte den Kampf gegen die Sparpolitik nicht im Alleingang aufnehmen, mahnt die liberale Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore: "Es gibt triftige Gründe für ein expansives Haushaltsmanöver. Deshalb wäre es verheerend, wenn Europa uns im Frühjahr zwingen würde, den Haushaltsplan zu korrigieren unter dem Diktat eines anachronistischen Sparkurses. In diesem Zusammenhang muss auch die europäische Offensive gelesen werden, die unser Premier gestartet hat. ... Man kann unendlich lang darüber diskutieren, ob nationale Interessen besser durchgebracht werden, in dem man sich fleißig bemüht oder indem man mit der Faust auf den Tisch schlägt. Entscheidend ist in beiden Fällen, auf glaubwürdige Allianzen bauen zu können. ... Es ist anzunehmen, oder zumindest zu hoffen, dass Renzi, bevor er seine Offensive startete, diese Bündnisse geschmiedet hat."
Am Ende hoffen wieder alle auf deutsche Hilfe
Kritik an der Rolle Deutschlands in der EU ist ein billiges Mittel zum Stimmenfang, meint die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Zu der sich in der EU wieder ausbreitenden Überzeugung, dass die von Berlin propagierte 'Austeritätspolitik' von Übel sei, gesellt sich regelmäßig die Behauptung, Deutschland wolle sich damit seine europäischen Partner untertan machen. Mit dieser Traditionslegende lassen sich Wähler von Spanien bis Griechenland mobilisieren. Spanien werde 'nie wieder ein Anhängsel Deutschlands' sein, kündigte auch Podemos-Chef Iglesias nach der Wahl an; für seine Partei stehe die Souveränität seines Landes an erster Stelle. ... Am Ende aber gehen sie ganz selbstverständlich davon aus, dass sie beim Wiedererrichten der nationalen Souveränität auf die europäische Solidarität bauen können, sprich auf die Umverteilung von Wohlstand in allen denkbaren Formen. Auch dann richten sich wieder alle Blicke auf Deutschland."