Hitlers Geburtshaus soll abgerissen werden
Einen jahrelangen Streit über die Zukunft des Geburtshauses von Adolf Hitler in Braunau will die österreichische Regierung durch Abriss oder zumindest einen totalen Umbau beenden. Innenminister Wolfgang Sobotka folgt damit der Empfehlung einer Expertenkommission. Mit der Abrissbirne gelingt Vergangenheitsbewältigung wohl kaum, mahnt die europäische Presse.
Geschichte bewältigen, nicht vergessen
So wird eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte nicht gefördert, mahnt die Süddeutsche Zeitung:
„Hitler hat dort, wo er zur Welt kam, nur kurz gelebt, und Braunau ist des Stigmas müde, auf ewig als Hitler-Stadt in den Geschichtsbüchern zu stehen. Aber das pragmatische Argument, dass es wahrlich genug andere Orte und Gelegenheiten in Österreich gebe, sich mit dem Nazi-Terror auseinanderzusetzen, trifft nicht den Kern. Allein die Tatsache, dass sich der Streit um die Nutzung des Hauses schon Jahre hinzieht, zeigt, dass man Vergessen nicht verordnen kann. Braunau will seine Ruhe? Die wird es nicht bekommen, dazu sind der Verbrecher Hitler und seine Verbrechen zu monströs. Mutig und zukunftsgewandt wäre eine Begegnungsstätte, ein Jugendforum, ein Forschungsinstitut. Ein Zeichen jedenfalls, das dem Gedenkstein vor dem Haus Rechnung trägt: Nie wieder Faschismus.“
Hitler gehört zur Geschichte Österreichs
Die Österreicher sollten sich bei den Deutschen abschauen, wie man mit Hitlers Vergangenheit umgeht, regt der Historiker Sergio Romano im Corriere della Sera an:
„Man setzt sich schwerlich mit der Geschichte auseinander, indem man ihre Spuren tilgt. Man darf nicht nur der genehmen Seiten der Vergangenheit gedenken und die unbehaglichen beseitigen. Hitler gehört zu Österreich. Die Jahre, die er in Wien verbrachte, waren bitter, doch haben sie seine Weltanschauung und seine Neigungen mehr geprägt, als die Berliner und Münchner Jahre. Hier ist sein Antisemitismus geboren. Hier wurde er 1938 triumphal von einer enormen, Beifall spendenden Menschenmenge empfangen. Paradoxerweise wurde der Abriss des Geburtshauses in Braunau kurz nach dem Erscheinen einer neuen, kritischen Ausgabe von Hitlers Mein Kampf in Deutschland entschieden. ... Die deutschen Wissenschaftler haben die verbliebenen Exemplare von Hitlers Buch nicht verbrannt, wie dies vielleicht die Abbruchwütigen von Braunau getan hätten. Stattdessen schlagen sie ihn mit bester deutscher Philologie.“
Jahrzehntelang verdrängt
Weshalb hat man sich so lange um diese Entscheidung gedrückt, fragt Lidové noviny:
„Wäre das Haus gleich nach dem Krieg abgerissen worden, dann hätte das eine Logik gehabt. Wäre das nun die Logik der Vergeltung durch die siegreichen Alliierten gewesen oder die Logik des Alibis der geschlagenen Nazis. Bekanntlich stilisierten sich die Österreicher zu den 'ersten Opfern' Hitlerdeutschlands hoch. ... Zur Ehrenrettung Österreichs muss man zugestehen, dass das Haus über drei Generationen nie zu einem Wallfahrtsort für alte Nazis oder für Neonazis geworden ist. Anders als das Spandauer Gefängnis, das nach dem Tod des letzten Verurteilten von Nürnberg abgerissen werden musste. ... Dass es so lange gedauert hat, ehe man sich jetzt in der Frage des Hauses in Braunau entschied, hatte einen einzigen Grund: Hitler ist ein großes Tabu.“