Europa sucht nach Militärstrategie
Auf massiven Druck aus den USA diskutieren die europäischen Natostaaten eine Erhöhung ihrer Militärausgaben. In Brüssel soll noch in diesem Monat ein Hauptquartier für EU-Auslandsmissionen geschaffen werden und Deutschland debattiert über die Anschaffung von Atomraketen, bis dato ein Tabu. Auch Kommentatoren drängen zu mehr militärischen Investitionen nach der Wahl Donald Trumps.
Paris muss neuer Rolle gerecht werden
Um die Sicherheit Europas zu gewährleisten, muss vor allem Frankreich seine Militärstrategie überarbeiten, fordert Le Point:
„Frankreich ist dazu berufen, eine führende Rolle in einem sicheren Europa zu übernehmen. Nach dem Brexit ist es das einzige europäische Land mit einem permanenten Sitz im UN-Sicherheitsrat, das einzige Land, das nukleare Abschreckung betreiben, Truppen schicken und als erstes in komplexe Operationen einsteigen kann. ... Einen solchen Kontext hat es seit den 1930er Jahren nicht mehr gegeben. Frankreich kommt nun eine besondere Verantwortung zu. Es muss eine globale Strategie zur inneren und äußeren Sicherheit ausarbeiten, seine Interventionsdoktrin modernisieren und wieder in seine Sicherheit investieren.“
Von US-Steuerzahlern unabhängig werden
Wenn die USA sich zurückziehen, muss Europa selbst die Verantwortung übernehmen, mahnt Postimees:
„Es ist an der Zeit, dass Europa schnell Schlussfolgerungen zieht aus der Politik des neuen amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Die fundamentale Erschütterung ist, dass die Politik und der Beitrag der USA nicht konstant sind. ... Das betrifft nicht nur die Verteidigung, in der diese Entwicklung eher gut als schlecht ist, sondern eine ganze Reihe von Bereichen vom Handel über die Klimaforschung bis zu den Raumfahrtprogrammen. Wir sollten uns einmal ganz genau anschauen, wie viele Unternehmungen und Entwicklungen von globaler Bedeutung bisher von den US-Steuerzahlern und dem föderalen Budget der USA abhängig waren. Sind diese Bereiche auch für Europa von kritischer Bedeutung, müssen wir uns fragen, wieso wir bisher nicht selbst genug Geld für diese Programme gefunden haben.“
Zählt Krisenprävention zum Nato-Etat?
Die Forderung an alle Nato-Mitglieder, zwei Prozent ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, ist anachronistisch, beklagen die Salzburger Nachrichten:
„[D]ie USA geben das Geld vor allem für sich selbst aus; sie stellen (wie Briten und Franzosen) nur einen Teil ihrer ganzen Militärmacht in den Dienst der NATO. Vor allem wird in dem Zwei-Prozent-Ziel ein anachronistisch noch immer auf das rein Militärische reduzierter Sicherheitsbegriff sichtbar. Entwicklungshilfe und Klimaschutz, Krisenprävention und Diplomatie zählen jedoch mittlerweile unabdingbar zur Sicherheit. Die Deutschen etwa zahlen jetzt große Summen für die Integration von Flüchtlingen, die durch die unbedachten Militärinterventionen der Amerikaner in Nahost entwurzelt worden sind.“
Nur geeinte Nato bietet Schutz vor Russland
Diena hätte von den Nato-Verbündeten mehr Solidarität erwartet:
„Auch wenn die meisten europäischen Politiker einverstanden waren, in der Sicherheitspolitik den bisherigen Kurs fortzusetzen, waren nicht alle bereit, zwei Prozent des BIP für die Verteidigung auszugeben. Auch was die Haltung einiger führender europäischer Politiker hinsichtlich Trumps Hoffnungen betrifft, die Beziehungen mit Russland zu verbessern, zeigt sich im Endergebnis, dass sie nur solange ganz gern vor Russland Angst haben, wie sie dafür nicht zahlen müssen. … Die europäischen Politiker würden Trump nun gerne einen Knüppel zwischen die Beine werfen. Dies wiederum verspricht nichts Gutes für die Zukunft der Nato. Denn in dieser Organisation sind nicht nur gemeinsame Ziele wichtig, sondern auch Garantien, dass im Notfall Hilfe angeboten wird.“
US-Generäle haben falsch gerechnet
Neatkarīgā zweifelt an der Berechtigung der US-amerikanischen Forderungen, die europäischen Partner müssten ihre Ausgaben für die Nato erhöhen:
„Die US-Forderungen wären nur dann gerecht und begründet, wenn sich alle US-Militärausgaben tatsächlich nur auf Nato-Abkommen bezögen. ... Dann wäre es fair und gerecht, wenn alle Natostaaten solidarisch die militärischen Ausgaben teilten. Allerdings ist die Nato keine globale militärische Organisation und in der ganzen Welt tätig. Und die militärischen Aktivitäten der US-Amerikaner im Südatlantik, Roten Meer oder Persischen Golf gehen nicht auf das Konto der Nato. Außerdem betragen die militärischen Ausgaben der USA für die Nato nicht einmal ein Prozent ihres BIP. Es gibt also genug Natostaaten, die mehr für die Verteidigung ausgeben als die USA. Deshalb sollten alle US-Generäle, bevor sie hohe Forderungen an andere stellen, kritisch auf sich selbst schauen und korrekt den eigenen Beitrag in der nordatlantischen Allianz bewerten.“
US-Präsident hat Lob verdient
Mit den Äußerungen der neuen US-Administration ist gelungen, was bisher keinem gelang: Die europäischen Länder müssen sich zu einer vernünftigen, wirklich wehrhaften Verteidigungspolitik zusammen finden, freut sich Berlingske:
„Egal, was man vom neuen amerikanischen Präsidenten hält, man muss ihm doch Lob zollen, weil er auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende etwas erreicht hat, was einer Reihe seiner Vorgänger nicht gelang. ... Trumps Drohungen eröffnen die Möglichkeit, eine taugliche Verteidigung aufzubauen - und hoffentlich die lange Periode zu beenden, in der die dänische und die europäischen Regierungen damit davonkamen, ihre Versprechen von Verteidigungsinvestitionen nicht einzuhalten, die sie vorher gegeben hatten.“
Washington könnte Macht verlieren
Wenn die USA von den europäischen Natopartnern größere finanzielle Anstrengungen fordern, müssen sie sich auch mehr europäische Mitsprache gefallen lassen – und das macht die Sache nicht unkomplizierter, meint Hospodářské noviny:
„Es muss gesagt werden, wofür mehr Geld eingesetzt werden soll. Am einfachsten ist das beim Thema des internationalen Terrorismus, der sich am sichtbarsten am Islamischen Staat zeigt. Doch hier gibt es Unterschiede zwischen den USA und Europa. Nicht jeder Staat verfügt über Truppen für einen Auslandseinsatz und nicht jede Öffentlichkeit und Regierung würde Truppen entsenden. Noch größerer Streit - nicht nur unter den Europäern - herrscht über das Sicherheitsrisiko, das von Putins Russland ausgeht. ... Bisher sind die Debatten in der Nato von den USA bestimmt worden. Wenn die Europäer jetzt einen höheren Anteil für die Sicherheit übernehmen sollen, müssen sich die USA darauf einstellen, dass andere auch mehr mitreden wollen.“
Wer will eine militärische Großmacht Berlin?
Großbritannien erfüllt als einziger großer europäischer Staat das Zwei-Prozent-Ziel, Frankreich verfehlt es nur knapp. Mit seinem Appell wollte Pence demnach in erster Linie Berlin ansprechen, doch ist das zu kurz gedacht, analysiert Diário de Notícias:
„Deutschland hat seine Militärausgaben zwar erhöht, wird aber das angepeilte Ziel von zwei Prozent erst im Jahr 2024 erreichen. … Aber selbst wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer vierten Amtszeit Trump und Pence nachgeben würde, wäre dies nicht unbedingt eine Wohltat für die Nato. Es ist zu bezweifeln, dass andere Nato-Mitglieder bei einer Erhöhung des deutschen Militärhaushalts von aktuell 36 Milliarden auf rund 60 Milliarden Euro ruhig bleiben würden. Dies nämlich würde eine deutsche militärische Vorherrschaft in Europa bedeuten - und wäre für Verbündete wie Großbritannien oder Frankreich nur schwer zu verdauen.“
Dahinter steckt die US-Waffenlobby
Donald Trump scheint der amerikanischen Rüstungsindustrie große Versprechen gemacht zu haben, glaubt Novi List:
„Die Welt ist aus den Fugen geraten und wir wissen nicht wie diese Irrfahrt weitergehen wird. Aber wir wissen, wer von dem Chaos profitiert: die Waffenhersteller, allen voran die USA, als größter Waffenexporteur der Welt. Und so soll es auch bleiben. ... Erst hat Trump dramatisch den Sinn und die Zukunft der Nato in Frage gestellt und jetzt versuchen uns die Amerikaner zu beruhigen, indem sie die Behauptung lancieren, dass sie natürlich zur Nato stünden. Allerdings nur unter der Bedingung, dass die europäischen Verbündeten ihre Militärausgaben auf die vereinbarten zwei Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlandsprodukts erhöhen. ... Die Strategie ist vollkommen klar: mehr Waffen bedeuten weniger Geld für Soziales, Bildung und Gesundheit einerseits und andererseits weniger Frieden. Genau das garantiert den amerikanischen Waffenhändlern fette Gewinne.“
Ein Geschenk an die Rüstungsindustrie
Die taz vermutet hinter der Forderung nach höheren Militärausgaben ganz andere Motive als die Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit:
„Es ist absurd, wenn die USA behaupten, ihr Verteidigungsetat sei wegen der Nato-Erfordernisse so hoch. Entsprechend geht es ihnen auch nicht um eine fairere Lastenverteilung, sondern um die Interessen des militärisch-industriellen Komplexes. Ginge es tatsächlich um die Verteidigungsfähigkeit, wäre der Ansatz ein anderer. Dann ginge es zunächst um die Frage, ob und welche Fähigkeiten dem Nato-Bündnis fehlen. Erst dann würde über eine Kostenverteilung verhandelt. Hier ist es genau andersherum: Zunächst soll das Geld bereitgestellt und dann erst geschaut werden, wie es sich ausgeben lässt. Die Rüstungskonzerne können jubilieren.“
Moskau ist gefährlicher, als man in Europa denkt
Europa will offenbar nicht wahrhaben, dass Russland eine reale militärische Bedrohung darstellt, bemerkt Dnevnik und erklärt auch gleich, warum das so ist:
„Die Hypothese einer wachsenden Gefahr aus Russland - sei es durch eine Cyberattacke, hybride Kriegsführung oder einen konventionellen Militärangriff - stößt in Europa auf zwei Arten von ideologischem Widerstand. Die erste Gruppe, die sich gegen diese Annahme sperrt, ist die immer mehr Einfluss gewinnende 'fünfte Kolonne' Putins, die entschieden gegen solche Hypothesen protestiert und dafür auf Methoden aus den Zeiten des Kalten Krieges zurückgreift. Die zweite Gruppe sind bekannte europäische Postliberale, die nicht einmal den Gedanken an einen möglichen Krieg auf dem europäischen Kontinent zulassen wollen und stets mit dem ängstlichen Argument aufwarten, man müsse den Dialog suchen, um die Beziehungen zu Russland zu verbessern.“
Aufrüsten für den High-Tech-Kampf
Die EU-Staaten sollten im Rüstungsbereich wieder mehr investieren und enger kooperieren, pflichtet The Times Mattis bei:
„Europa muss nicht nur tiefer in die eigene Tasche greifen, sondern auch eine besser abgestimmte Rolle spielen, wenn es um die Frage geht, wie der Westen verteidigt werden soll. Die Rüstungsetats sollten klug zugewiesen werden. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf die Kriegsführung des 21. Jahrhunderts gelegt werden. Neue Formen der Kooperation zwischen Technologieunternehmen und der Rüstungsindustrie müssen erdacht werden. Die Schlachtfelder der Zukunft werden sich im virtuellen Raum sowie im Bereich der Big-Data-Analytik befinden und nicht in den Ebenen Norddeutschlands. Der Westen hat einen großen Vorteil gegenüber den Rüstungsgroßinvestoren Russland und China sowie den Terrorzellen und Aufrührern: seinen technologischen Vorsprung.“
Europäer hinken Versprechen hinterher
Trump ist nicht der erste US-Präsident, der die Europäer auffordert, ihren Verpflichtungen zur Sicherung der Verteidigung endlich nachzukommen, erinnert Dennik N:
„Darüber sprachen schon Obama und dessen Vorgänger. Vergeblich. Trump und seine Leute bedienen sich nur einer deutlicheren Sprache und verbinden ihre Forderung mit einer kaum verhüllten Drohung: Wenn Deutsche, Italiener, Spanier, Tschechen, Ungarn, Slowaken und andere weiter nur von der gemeinsamen Sicherheit profitieren wollen und nicht gleichzeitig ihre Verpflichtungen erfüllen, können sie im Falle der Bedrohung nicht automatisch mit der Hilfe der USA rechnen. Die derzeitigen Verabredungen sagen, dass wir zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts in die Verteidigung stecken sollen, was wir seit Ewigkeiten nicht tun. Wenn aber die Europäer dazu nicht bereit sind, dann sind Pläne für eine europäische Armee nur ein Beleg mehr für den häufigen Realitätsverlust der politischen Elite des alten Kontinents.“
Erhalt der Nato sollte jede Öre wert sein
Dänemark hat seit 2012 seinen Militärhaushalt um insgesamt 15 Prozent beschnitten und plant weitere Kürzungen. Eine grundfalsche Entscheidung, betont Berlingske:
„Es ist unverständlich, wie es die Regierung in solch unsicheren Zeiten zulassen kann, dass die Verteidigung ausgedünnt wird. ... Nun ist es an Dänemark und den anderen Nato-Ländern zu entscheiden, ob die Nato sich selbst retten soll. Niemand anders wird das tun. Für Dänemarks Teil dürfte es da keinen Zweifel geben. In einem Land mit öffentlichen Ausgaben von mehr als 1.100 Milliarden Kronen [148 Milliarden Euro] pro Jahr ist es selbstverständlich machbar, die Verteidigungsausgaben über mehrere Jahre hinweg um 17 bis 18 Milliarden [2,3 bis 2,4 Milliarden Euro] zu erhöhen. Dafür, die weltweit erfolgreichste Verteidigungsallianz zu erhalten, ist das ein unglaublich günstiger Preis. An die Alternative möchte man gar nicht erst denken.“
Viel hilft nicht immer viel
Die Nato leidet mit Sicherheit nicht an zu wenig Geld, meint die Frankfurter Rundschau:
„Deutschland scheint mit einem Wehretat, der 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, knausrig dazustehen. Anders klingt es, wenn aus den Prozentpunkten Milliarden werden. 36 Milliarden Euro gibt Deutschland für Soldaten und Einsätze aus. ... Eine Erhöhung auf zwei Prozent würde zusätzliche 20 Milliarden Euro bedeuten. Das ist enorm viel Geld. Deshalb gebietet es sich, die zwei Prozent nicht einfach nachzubeten. Der Nato-Beschluss folgt der - schon vor Trumps Aufstieg vorhandenen - allzu einfachen Logik des Satzes: 'Viel hilft viel.' Wenn aber die Nato reformbedürftig ist, dann ist sie das vor allem auch wegen des mangelnden Zusammenspiels ihrer Kräfte und wegen ihrer Doppelstrukturen. Und wenn die USA drohen, ihren Nato-Beitrag zurückzuschrauben, kann man durchaus fragen, ob es dann nicht vielleicht immer noch reicht.“