Ist die EU Trump gewachsen?
EU-Ratspräsident Donald Tusk hat die EU-Staaten angesichts der von ihm wahrgenommenen Gefahr durch die Trump-Administration zur Einheit aufgerufen. In einem Brief an die Staats- und Regierungschefs hatte er die USA als Unsicherheitsfaktor in einer Reihe mit Russland, dem Nahen Osten und China genannt. Kommentatoren sind skeptisch, ob sich die EU zusammenraufen kann.
Trump ist nicht das größte Problem
Der harte Ton von EU-Ratspräsident Tusk gegenüber US-Präsident Donald Trump ist voreilig, warnt NRC Handelsblad:
„Trump hat seinen Äußerungen über Europa noch keine Taten folgen lassen und hat wiederholt gesagt, dass die Zukunft der Nato nicht auf dem Spiel steht. Kurz: Die Lage ist besorgniserregend, aber es ist noch nicht alles verloren. Daher ist nun viel Geschick im Umgang mit den USA gefragt. Es ist nicht besonders praktisch, vorschnell die Eskalationsleiter zu erklimmen. Außerdem haben weitaus die meisten Regierungschefs Trump noch nicht kennengelernt und sind mit ihm sicher nicht alle so uneins wie Tusk. Der Ratsvorsitzende hat sich also weit aus dem Fenster gelehnt. ... Die EU hatte schon lange vor der Wahl Trumps mit großem Unfrieden in den eigenen Reihen zu kämpfen. Trump ist ein zusätzliches Problem für Europa, aber nicht das wichtigste.“
Europäische Einheit ist ein Witz
Blogger Pitsirikos kann über den Appell Tusks nur lachen:
„Donald Tusk, der eine billige Version von Donald Trump ist, fordert die Einheit der europäischen Länder. ... Am wunderbaren Verhalten Deutschlands und anderer EU-Länder Griechenland gegenüber spürt man diese Einheit der EU. Wolfgang Schäuble besteht auf dem Grexit - er hat wieder Appetit bekommen. Diese Typen wollen die Griechen und Griechenland vernichten, gleichzeitig reden sie von Einheit. Wenn sie diese tatsächlich wollten, könnte ihnen Griechenland eine Gelegenheit bieten, die Einheit der EU zu demonstrieren. … Mit der Zerstückelung Griechenlands sendet die EU jedenfalls keine Botschaft der Einheit. ... Im Fall eines Grexits wird Trump groß feiern.“
EU als Verteidigungspartner nicht ernst zu nehmen
Als ein Gebiet, auf dem die EU stärker zusammenarbeiten muss, identifiziert die Financial Times die Verteidigungspolitik:
„Europa hat sich seit den Anfängen des Kalten Krieges so sehr auf den Schutz durch die USA verlassen, dass es an einer Kultur des unabhängigen strategischen Denkens fehlt. Die Ungeduld der USA wegen niedriger europäischer Verteidigungsausgaben ist völlig gerechtfertigt. Diese steigen zwar wieder, doch nur in geringem Ausmaß. ... Rund 80 Prozent der Anschaffungen im Rüstungsbereich in der EU erfolgen auf nationaler Ebene. Heute gibt es weniger gemeinschaftliche Verteidigungsprogramme als vor 20 Jahren. Die EU-Staaten verfügen über 157 verschiedene Waffensysteme, die USA über 27. All das muss sich ändern, damit Skeptiker in Washington beginnen, Europa als Verteidigungspartner ernst zu nehmen.“
Kritik an den USA können wir uns nicht leisten
Europa hat keine andere Wahl, als sich mit dem neuen US-Präsidenten abzufinden, mahnt Eesti Päevaleht:
„Wegen Donald Trumps Aussagen und seinem Verhalten können wir nicht mehr sicher sein, dass unser bisheriger größter Sicherheitsgarant im entscheidenden Moment für uns da sein wird. Außerdem haben uns hauptsächlich die gemeinsamen liberalen Werte verbunden, nun aber haben die USA begonnen, Volks- und Religionsgruppen zu diskriminieren und man muss sich fragen, auf was die Bündnisbeziehungen noch beruhen. Wenn wir uns auf Trump nicht verlassen können, sind wir dann in Zukunft bereit, als Partner US-Militäroperationen zu unterstützen? Eine hypothetische Frage stellt sich: Wären wir bereit, das Bündnis aufzugeben, wenn Trumps Führungsstil im Konflikt mit all unseren Grundsätzen ist? Wenn man die Alternativen bedenkt, kommt man zu dem Schluss: Wir haben keine Wahl, wir müssen uns mit Trump abfinden.“
Heilsamer Schock für EU
Endlich erwacht Europa aus seinem Dornröschenschlaf, freut sich De Standaard über Tusks Kritik an Trump:
„Europa hat die Wahl, diese verbale und ökonomische Gewalt zu erleiden oder sein eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. Tusk steht mit seinem Ton gegenüber einer befreundeten Nation nicht allein da. Angela Merkel ließ ebenfalls von sich hören. Und auch der [belgische] König Philippe und Premier Charles Michel sprachen eine undiplomatische Sprache. ... Die Samthandschuhe sind ausgezogen. Für Europa, das in den vergangenen Jahren von Krise zu Krise stolperte und den Glauben in das eigene Können verloren hat, ist der Druck von Trump ein weiterer Schlag. Es ist quälend, mit der eigenen Schwäche konfrontiert zu werden, aber diese Züchtigung kann auch heilsam sein. Wir müssen künftig nicht mehr auf einen anderen hoffen, wenn es um die Verteidigung unserer Sicherheit, unseres Wohlstandes und unserer offenen Gesellschaft geht.“
Neue Partner suchen
Für Europa ist es dringend an der Zeit, die internationale Vorreiterrolle der USA in Frage zu stellen, fordert die Politologin Sonia Andolz in El Periódico de Catalunya:
„Die US-Amerikaner haben ihren Präsidenten demokratisch und souverän gewählt. Aber durch die hegemoniale Rolle der USA wirkt sich die Wahl in vielen Bereichen über die Grenzen der USA hinweg aus, was uns zum Kommentieren und Handeln berechtigt. Wir müssen die Einhaltung des internationalen Rechts einfordern, sowohl in den USA als auch auf dem Gebiet der EU. ... Wenn die internationale Politik und deren Normen oft von Washington vorgegeben werden, sollten wir uns vielleicht jetzt fragen, ob wir wollen, dass das so bleibt. Europa muss seine Gründungsprinzipien wieder für sich reklamieren und zusammen mit anderen Weltregionen auf ein gerechteres System hinarbeiten, das auf den gemeinsamen Prinzipien und Werten der Zusammenarbeit beruht.“
Nicht an Verteidigung und Zusammenhalt sparen
Deutschland muss nun seine Sparmentalität aufgeben und in EU und Nato investieren, fordert der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer in der Süddeutschen Zeitung:
„Es gibt keine deutsche Sicherheit ohne Polen, keine französische ohne Deutschland. Ganz im Gegenteil wird Europa (und mit ihm Deutschland) alles tun müssen, um diese kollektive Sicherheit und seinen Beitrag dazu erheblich zu stärken. Das gilt für Nato und EU gleichermaßen. Deutschlands Stärke liegt in seiner finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, und diese Stärke wird es jetzt für EU und Nato in einem Maße einsetzen müssen, wie das in den Jahrzehnten der sogenannten Friedensdividende und den Jahren der Euro-Krise nicht der Fall war. Sparsamkeit ist ohne jeden Zweifel eine Tugend, aber wenn das Haus brennt und einzustürzen droht, gelten andere Prioritäten.“
Washington ablösen
Es ist nun entscheidend, dass die EU die Rolle der Hüterin westlicher Werte übernimmt, meint Večernji list:
„In nur 10 Regierungstagen hat Präsident Trump die USA von einer vorbildlichen Demokratie in einen düsteren autokratischen Staat verwandelt. ... Nun muss die Europäische Union die westlichen Werte schützen und vertreten, während sie in Washington verloren gehen. Das ist allerdings leichter gesagt als getan, da die EU gleichzeitig durch mehrere Krisen geschwächt ist. Zudem scheint Trump die EU als Zielobjekt zu betrachten, das zerstört werden muss. Damit sie überhaupt noch irgendetwas in der Welt vertreten kann, muss die EU stark bleiben. Sonst wird der Zusammenbruch der westlichen Werte auf beiden Seiten des Atlantiks uns noch viele düstere Augenblicke der Geschichte bescheren.“