Schottland plant neues Referendum
Regierungschefin Nicola Sturgeon will die Bürger Schottlands angesichts des bevorstehenden harten Brexits erneut über eine Abspaltung von Großbritannien abstimmen lassen. Die britische Premierministerin Theresa May hatte versprochen, auf die Interessen der Schotten, die in der EU bleiben wollen, Rücksicht zu nehmen. Doch dieses habe sie nicht gehalten, so der Vorwurf von Sturgeon. Für die Presse pokern in dem Streit beide Seiten zu hoch.
Sturgeon pokert hoch
2014 hatten 55 Prozent der Schotten gegen eine Abspaltung von Großbritannien votiert. Dass sie in einem neuen Referendum anders abstimmen würde, ist alles andere als sicher, analysiert die Welt:
„Vielen Schotten macht die Vorstellung Angst, plötzlich eine EU-Exklave im hohen Norden zu sein, noch dazu mit einem für die Staatskasse verheerend niedrigen Ölpreis, dem Wegfall von Londons Subventionen und der drohenden Pflicht, den Euro einzuführen. Manche meinen deshalb, Sturgeon wolle das Referendum gar nicht wirklich. Sie drohe vielmehr nur, um die politische Kontrolle zu behalten und May am Ende zu einem weniger harten Brexit zu zwingen. Ein gewagtes Spiel, betrachtet man Mays bis dato knallhartes Vorgehen. Schon am Dienstag könnte die Premierministerin, allen Blockaden des Parlaments zum Trotz, wie geplant den Startschuss für den nur zweijährigen Brexit-Prozess geben. Dann tickt die Uhr, auch für Schottlands und Nicola Sturgeons Zukunft.“
May in politisches Dilemma gestürzt
Die britische Premierministerin wird bei den Brexit-Verhandlungen entweder Schotten oder EU-Gegner enttäuschen müssen, analysiert Financial Times:
„Theresa May kann keinen harten Brexit aushandeln, ohne den Verlust Schottlands zu riskieren. Drei Fünftel der dortigen Wahlberechtigten hatten [2016] für die EU gestimmt. Ein harter Brexit würde nicht nur einen schweren materiellen Schaden für eine kleine, auf Handel basierende Wirtschaft bedeuten. Er würde zudem Englands Hochmut gegenüber dem kleineren Land Ausdruck verleihen. Doch wenn May eine weichere Linie wählt, muss sie entweder auf ihr Recht verzichten, Außenhandelsabkommen zu schließen (um in der Zollunion zu bleiben). Oder die Freizügigkeit akzeptieren (um im Binnenmarkt zu bleiben). Ersteres wäre das Ende ihrer Vision des Regierens. Zweiteres würde sie politisch nicht überleben. ... Am Ende muss May entweder die EU-Gegner oder die Schotten verärgern.“
Brexit-Groll befeuert Nationalstolz
Wirtschaftlich hätte die Unabhängigkeit Nachteile, doch ihr neu erwachter Nationalstolz lässt die Schotten darüber hinwegsehen, erläutert der britische Journalist Bill Emmott in La Stampa:
„Wäre Schottland nur auf seine eigenen Steuereinnahmen angewiesen, dürfte sein Haushaltsdefizit auf schätzungsweise 15 Prozent des Bruttoinlandprodukts klettern. Somit müsste ein unabhängiges Schottland, allein um die staatlichen Leistungen auf dem bisherigen Niveau zu halten, die Einkommens- und Umsatzsteuer wie auch andere Abgaben erhöhen. Doch der Nationalismus ist ein starkes Gefühl. Der Groll über die Entscheidung von Westminister, nicht nur aus der EU auszutreten, sondern auf resolute Weise auch den Binnenmarkt und die Zollunion zu verlassen, hat die Schotten auf die Palme gebracht. Sie ziehen den weichen Brexit mit dem Verbleib im Binnenmarkt dem harten Brexit vor. Die Idee, Schottland könne den Weg alleine gehen, als unabhängige Nation in der EU, hat den Nationalstolz wieder entzündet.“