Eurogruppenchef verärgert südliche EU-Staaten
"Ich kann nicht mein ganzes Geld für Alkohol und Frauen ausgeben und anschließend um Unterstützung bitten", hat Eurogruppenchef Dijsselbloem in einem Interview gesagt. Dabei bezog er sich auf die Solidarität mit den Krisenstaaten Europas. Madrid und Lissabon forderten daraufhin seinen Rücktritt. Auch einige Kommentatoren gehen hart mit Dijsselbloem ins Gericht, während andere wiederum Verständnis zeigen.
Nicht einmal Schäuble hätte sich das getraut
Público ist auch Tage nach dem Interview noch immer empört über Dijsselbloems Worte:
„Sein Satz ist in vielerlei Hinsicht so unschicklich (vor allem wegen des rüpelhaften und bäuerischen Macho-Gehabes), dass Rücktrittsforderungen unvermeidlich sind. Schlimmer als Geld 'für Alkohol und Frauen' zu verprassen ist es, Interviews zu geben, um Salz in die Wunde zwischen dem 'arbeitenden Norden' und dem 'faulen Süden' zu schütten. Eine alte Diskussion, die einfach nirgendwohin führt. ... Dijsselbloem muss keine Wahlen mehr gewinnen, diese sind für seine Partei PvdA bereits gelaufen. Diese Art von Kommentar ist also völlig kontraproduktiv. ... Nicht einmal Wolfgang Schäuble hat es jemals gewagt, Dijsselbloems saloppe Kneipensprache zu benutzen. Und das noch dazu zu einem so politisch heiklen Zeitpunkt für Europa.“
Dijsselbloem gefährdet seinen Posten
Mit seiner abfälligen Bemerkung hat Jeroen Dijsselbloem seine berufliche Zukunft aufs Spiel gesetzt, glaubt De Volkskrant:
„Das Interview lieferte seinen Gegnern sowohl in als auch außerhalb der Eurozone Munition. ... Mit seiner Schnaps-und-Frauen-Bemerkung hat sich Dijsselbloem in eine schwierige Position manövriert. Er weiß genau, dass die Konfliktlinien in der Eurozone in den vergangenen Jahren verhärtet sind und dass nicht jeder ihn als einen unparteiischen Vorsitzenden sieht. ... Die 19 Finanzminister entscheiden selbst, wer der Vorsitzende ihrer Eurogruppe ist. Dijsselbloem kann nichts anderes tun, als sein Schicksal in ihre Hände zu legen.“
Griechen sind wahrlich keine Asketen
Die Griechen sollten leisere Töne anschlagen, da der Eurogruppenchef teilweise Recht hat, rät das Onlineportal To Vima:
„Abgesehen davon, dass die Töne des Herrn Dijsselbloem populistisch sind, ist es an der Zeit aufzuhören, unsere Schwächen zu verstecken. Denn in der Tat wurden riesige Mengen von europäischen Geldern für unproduktive Maßnahmen verschwendet, zumindest in Griechenland. ... Wir müssen zugeben, dass wir keine asketischen Menschen sind. Dies ist nicht unbedingt negativ, sicher aber ist, dass wir über Jahre hinweg das vorübergehende Wohlbefinden vor Investitionen in die Zukunft gestellt haben. Dafür bezahlen wir heute. Weniger Geschrei, weniger Populismus, weniger Moralpredigten und mehr Verständnis für unsere Andersartigkeit wären vielleicht besser geeignet, den Problemen der Gegenwart und den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen.“
Stammtischparolen aus dem Establishment
Mit seiner Entgleisung zeigt Dijsselbloem, dass Populismus sich nicht auf den rechten Rand beschränkt, meint die taz:
„Es wird das gängige Klischee bedient, dass die faulen Südländer angeblich das Geld zum Fenster hinauswerfen, das ihnen fleißige Nordeuropäer selbstlos leihen. Gut und Böse sind also klar verteilt, und es gerät völlig aus dem Fokus, dass die Eurokrise strukturelle Ursachen hat. Dazu gehört auch das Lohndumping, das die Niederlande und Deutschland betreiben, um ihre Ausfuhren anzukurbeln. Gigantische Exportüberschüsse sind jedoch nur dann möglich, wenn andere Länder Defizite im Außenhandel haben - sich also verschulden. Es ist der klassische Trick aller Populisten, dass sie Strukturprobleme personalisieren - und nach Schuldigen suchen, die vorzugsweise Ausländer sind. Wie der Fall Dijsselbloem zeigt, heißen die Populisten nicht nur Geert Wilders oder Frauke Petry. Auch das EU-Establishment ist längst infiziert.“
Dijsselbloem muss abtreten
Eurogruppen-Chef Dijsselbloem darf nicht einen Tag länger im Amt bleiben, urteilt El Mundo:
„Zu den Eigenschaften, die ein Politiker erfüllen muss, um eine zwischenstaatliche Organisation zu leiten, gehört die Fähigkeit, sich mit allen durch ihn vertretenen Ländern gut zu verstehen. ... Die Eurogruppe hat die Aufgabe, die gemeinsame Wirtschaftspolitik der Eurostaaten zu erarbeiten, zu koordinieren und umzusetzen und ihre Bedeutung ist während der Schuldenkrise und der Rettung Griechenlands gewachsen. Es ist kontraproduktiv, wenn der Vorsitzende der Gruppe mehrere Mitgliedsregierungen aufhetzt, indem er völlig unangemessene Aussagen trifft, die eine Verachtung der Bürger der beleidigten Länder widerspiegeln. Dijsselbloem darf der Eurogruppe nicht einen Tag länger vorstehen. Er verweigert seinen Rücktritt und rechtfertigt seine Worte mit der 'direkten Art' der Niederländer. Direkter kann man auch das nicht sagen: Er repräsentiert uns nicht!“
Kein Verständnis für die Südländer
Dijsselbloem kann die Lebensart der Menschen im südlichen Europa einfach nicht verstehen, meint Protagon:
„In der dionysischen Kultur des Südens braucht man weder Geld noch Frauen, um das Leben zu genießen. Es ist nicht zwingend, dass alle dieser Lebensweise folgen. Aber auch nicht zwingend, sie abzulegen und wie die Holländer oder die Deutschen zu werden. Das würde sowohl die eine als auch die andere Seite unglücklich machen - wie in einer Ehe zwischen Menschen mit unterschiedlichen Charakteren. … Und schließlich hat der Süden für diese Lebensweise bereits bezahlt und die Verantwortung für das 'unbeständige Leben' übernommen.“
Dijsselbloem liegt nicht weit daneben
Lissabon sollte angesichts der Aussage Dijsselbloems cool bleiben, rät Jornal de Negócios:
„Im Grunde hat Dijsselbloem das geäußert, was viele Leute (auch im Süden) denken, aber nicht den Mut dazu haben, auszusprechen: Die Mitgliedstaaten haben nicht nur Rechte (was ihre Ausgaben betrifft), sondern eben auch Pflichten - und dürfen keinesfalls die finanzielle Stabilität des gemeinsamen Hauses (Union) gefährden. In Portugal können wir auf Dijsselbloems Aussage in zweierlei Weise reagieren: Mit einer aufgeheizten Reaktion, die typisch für diejenigen ist, die vom Wesentlichen ablenken wollen. Oder mit Gleichgültigkeit und Schulterzucken, also mit einem ironischen 'Lass mal gut sein - der Mann steht einfach unter Stress'. Zugleich sollten wir uns Gedanken machen, wie wir unseren Lebensstil ändern können.“
Ein Europa der vielen Vorurteile
Der Chef der Eurogruppe ist eindeutig zu weit gegangen, schimpft Público:
„Dijsselbloem hat eine Theorie darüber, was die südlichen Mitgliedstaaten mit dem Geld anstellen, welches der Norden ihnen leiht. Und der Süden hat eine über Dijsselbloem: dass er seinen Master nicht abgeschlossen hat, dass er nur aufs Sparen fixiert ist - und dass er entbehrlich ist. Leider zeigt die Kontroverse über die Aussage von 'Frauen und Alkohol' den derzeitigen Zustand Europas: Überall gibt es Vorurteile, die die Menschen voneinander trennen und entfernen. ... Diese Vorurteile sind nicht erst mit der Eurokrise entstanden. Doch es ist wahr, dass sie sich dank ihrer verfestigt haben - auch in der Führung der Eurogruppe. ... Europa war schon immer ein Ort der gegenseitigen Missverständnisse. Was die Aussagen von Dijsselbloem aber nun zeigen, ist, dass die Grenzen des Anstands eindeutig überschritten wurden.“