Elf Kandidaten werben um die Gunst der Franzosen
In einer erneuten TV-Debatte standen sich erstmals alle elf französischen Präsidentschaftskandidaten gegenüber. Neben den Umfrage-Favoriten Emmanuel Macron und Marine Le Pen, den Kandidaten der Linken, Benoît Hamon und Jean-Luc Mélenchon, sowie dem Konservativen François Fillon, stellten sich sechs weitere Kandidaten vor. Wer kann Frankreich regieren?
Patrioten sollten auf Europa setzen
Zehn der elf Präsidentschaftskandidaten - alle außer Macron - vertreten nach Ansicht von Le Monde eine antieuropäische Position. Ein Irrweg, schimpft das Blatt:
„Der Trumputinismus bedroht Europa mit einem neuen Jalta, dem russisch-amerikanischen Pakt, der den Kontinent vierzig Jahre lang gespalten hat. Die zwei Präsidenten versuchen, eine neue deutsche Frage aufzuwerfen: Putin destabilisiert zu diesem Zweck die osteuropäischen Länder und infiltriert Frankreichs nationalistisch eingestellte Köpfe. Und Trump probiert, das auf Öffnung ausgerichtete deutsche Wirtschaftsmodell zu zerstören. Die antieuropäischen Kandidaten tappen jedoch mit beiden Füßen in die Falle: Wirtschaftlich gleichen sie Trump, kulturell und außenpolitisch Putin. Vor allem aber sind sie antideutsch - als würde die Einigelung Frankreichs zu Stärke und Wohlstand führen. Dabei ist das Gegenteil nötig: Die Beziehung zu Deutschland, das Geografie und Geschichte gleichermaßen weiterhin an unserer Seite platzieren, sollte vertieft werden. ... Der echte Patriot, der Verteidiger der Nation und ihrer Werte, ist der Europäer.“
Absurde Streitereien zeigen Frankreichs Misere
Die stundenlange TV-Debatte war für Le Figaro genauso wirr und orientierungslos, wie der Zustand des Landes:
„Wer auch immer in den Elysée-Palast einziehen wird - die Handlungsfähigkeit des künftigen Präsidenten, der ein derart zersplittertes Frankreich regieren muss, bietet Anlass zur Sorge. ... Die tiefgreifende moralische Krise, die unser Land durchlebt, bringt Millionen von Protestierenden hervor, die unkoordiniert alles und dessen Gegenteil fordern. Es ist das Symptom eines Landes, dem es nicht gelungen ist, sich zu reformieren, das nunmehr seinem Verfall zuschaut, das unter einer immer unerträglicheren Schuldenlast leidet und sich in absurden Streitereien verliert. Hat diese endlose Konversation die Franzosen unterhalten? Das wäre der größte Grund zur Sorge.“
Debatte sollte dem Sieger eine Mahnung sein
Der Nachfolger von François Hollande wird der in der TV-Debatte geäußerten Wut Rechnung tragen müssen, meint Libération:
„Gegenüber der Heftigkeit der 'kleinen' Kandidaten und der von Marine Le Pen wirkten die zivilisierteren Äußerungen der Vertreter der Rechten, des Zentrums und der Linken oft blass. Sie können dies jedoch zu ihrem Vorteil nutzen, indem sie ihre ausgetüftelten Lösungen der Wut entgegensetzen, die am Dienstagabend geäußert wurde. Möglicherweise wird die Vorsicht vieler Wähler ihnen Recht geben. Wer auch immer von ihnen der Wahlsieger wird, er muss diesen einmaligen Abend bedenken, an dem die Revolte auf holprige, konfuse und widersprüchliche Weise zum Ausdruck gekommen ist, die aber auch einen Geisteszustand veranschaulicht. Nämlich den eines angsterfüllten, äußerst gereizten Landes, das Vernunftlösungen leid ist.“
Hamon sollte Kandidatur zurückziehen
Wie Benoît Hamon zum Helden der Linken werden könnte, erklärt Slate:
„Es würde reichen, dass er von sich aus die Nutzlosigkeit seiner Kandidatur anerkennt und durch seinen Rückzug triumphiert. ... Er sollte sich zurückziehen und fortan Mélenchon helfen, ihr gemeinsames Abenteuer so gut es geht zu vollenden … Die sozialistische Partei steht nach den Jahren unter Hollande zerstritten da, ohne Ausstrahlung, ohne Vision und ohne Seele. Sie kann zu neuen Kräften gelangen, indem sie eine Zeit lang auf die Macht verzichtet. Die Sozialisten, die vor Macron niederknien oder dies noch tun werden, folgen einer Logik. Und die Eisernsten in der Partei sollten diesem Beispiel folgen und sich ebenfalls anderen - einem anderen - unterwerfen. Sie sollten zur nächsten Veranstaltung Mélenchons gehen, aufs Podium steigen, ihn umarmen, ihm ihre Unterstützung anbieten, die Würde des Sozialismus bewahren und, sich ihrem Schicksal fügend, einen Neubeginn wagen.“
Egos der Kandidaten stehen Vernunft im Weg
Die Grabenkämpfe zwischen Hamon und Mélenchon sind für das Portal tagesschau.de ein Zeichen der Schwäche von Frankreichs Linken:
„Hamon, der Sozialist, liegt in Umfragen mittlerweile fünf Punkte hinter dem Kandidat der extremen Linken, Mélenchon. Zum Spitzenreiter Macron macht der Abstand ganze 15 Prozentpunkte aus. Das Tragische aus Sicht von Frankreichs Linken ist dabei, dass die beiden Streithähne, Hamon und Mélenchon, sich in vielen Positionen sehr nahe kommen. Das leugnen sie auch gar nicht. Gemeinsam kämen sie aktuell auf 25 Prozent, hätten also sogar Chancen auf die Stichwahl. Hätten. Denn de facto wird eine Annäherung vor allem aufgrund des Egos der beiden immer unwahrscheinlicher. Und damit auch die Chance auf eine linke Regierung. Der sozialistischen Partei droht in der Tat Chaos.“
Jugend könnte Le Pen zum Sieg verhelfen
Wenn es der Chefin des Front National gelingt, Jungwähler zur Beteiligung an der Präsidentschaftswahl zu motivieren, kann sie diese für sich gewinnen, analysiert Ökonom und Blogger David McWilliams:
„In der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen hat der Front National mit Abstand die höchsten Beliebtheitswerte. Jüngsten Umfragen zufolge kommt er bei den Jungen auf beinahe 40 Prozent. ... Das ist äußerst interessant und vergleichbar mit der Unabhängigkeitsbewegung in Schottland. Dort ist die Zustimmungsrate für die Unabhängigkeit bei den Jungen viel höher, während ältere Wahlberechtigte zum Unionismus tendieren. In England wiederum ist das Gegenteil der Fall: Die Jungen wollen in der EU bleiben, die Älteren austreten. In Frankreich sind die Jungen mit großer Mehrheit nationalistisch, nativistisch und kritisch gegenüber der EU sowie Ausländern eingestellt. Wenn es Le Pen gelingt, die Jungen an die Wahlurnen zu bringen, wird sie ihre Chance, die Wahl zu gewinnen, dramatisch erhöhen.“
Bleibt Macron nur ein Träumer?
Nach derzeitigen Umfragen würde Emmanuel Macron als Sieger aus der französischen Präsidentschaftswahl hervorgehen. Für Ilta-Sanomat ist dies jedoch kein Grund zur Euphorie:
„Auch Macrons Sieg löst nicht Frankreichs Probleme. Macron, der seine Themen von Rechten und Linken holt, plädiert für Wirtschaftsreformen. Nicht einmal Frankreichs mächtiger Präsident kann diese allein umsetzen. Schon im Juni wird das französische Parlament gewählt. Bekommt Macron dann die Unterstützung für seine Projekte oder bleibt auch er nur ein Träumer? Bürgerbewegungen sind nicht unbedingt sehr beständig. ... Die französischen Wähler sind launisch, aufbrausend und trotzig. Selbst wenn Macron der Einzug in den Élysée-Palast gelingt, kann seine Popularität ebenso schnell verfliegen wie sie gekommen ist. Dann wird es für die französische Politik noch vertrackter als bisher und das Land verliert die Führung.“
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