Weniger Trauer um russische Terror-Opfer?
Bei Terroranschlägen auf westliche Städte sind Betroffenheit und Mitgefühl im Westen groß: Facebookprofile tragen Trauer, berühmte Bauwerke werden in den Nationalfarben des angegriffenen Staates angestrahlt - unter anderem das Brandenburger Tor in Berlin. Dass die deutsche Hauptstadt dies nach dem Anschlag in St. Petersburg unterließ, empört einige Kommentatoren und lässt sie fragen, warum die Betroffenheit in diesem Fall so gering ist.
Ignoranz gegenüber der Geschichte
Das russische Portal Life ist sauer über die Erklärung der Berliner Stadtregierung und erinnert an Russlands Rolle im Zweiten Weltkrieg:
„Wenn Verantwortliche eines Landes, für das 'Leningrad' nicht einfach nur ein Stadtname sondern ein historischer Begriff ist, sich solche Gemeinheiten erlauben, verpackt als 'Regeln und Gepflogenheiten', dann sagt das einiges über jene aus, die derzeit die Hauptstadt Deutschlands zu regieren versuchen. ... Diese Menschen sind so inkompetent, dass sie nicht in der Lage sind, den für 2011 versprochenen Flughafen fertigzustellen. Sie verbieten die Arbeit von Airbnb zugunsten von Hotelketten und diskutieren bis zur Unendlichkeit, ob man in Schulen ein Kopftuch tragen darf. Für das Brandenburger Tor sind Russen gestorben, ihre Familien erinnern sich daran. Auch die Geschichte erinnert sich. Eigentlich sollte man niemandem diese offensichtlichen Dinge ins Gedächtnis rufen müssen.“
Russland trauert wie immer allein
Obwohl Russland ebenso das Herz blutet, ist der Umgang mit der Trauer völlig anders als im Westen, beobachtet Magyar Idők:
„Mütterchen Russland ist nicht Belgien, um das alle Welt trauert. Russland hat keine Zeit, um von der eigenen Trauer überwältigt zu werden. Das Leben geht weiter, die Polizei ermittelt, und das Land hat nahezu sofort den gewohnten Rhythmus wieder aufgenommen. ... Freilich, der Angriff wird auch in Russland Spuren hinterlassen. In der Metro, an den Grenzen, im Kaukasus und in den verbündeten zentralasiatischen Ländern werden die rigiden Gegenmaßnahmen zu spüren sein. Die Geheimdienste werden auf Hochtouren arbeiten, indes wird es auf den russischen Nachrichtenportalen keine Nachrichtenschwemme geben, sagen wir auf Englisch, sodass es jeder versteht. Das ist nicht dieselbe Tragödie wie in Westeuropa, die Gewichte sind anders verteilt, weshalb auch die Antworten andere sind. ... Auch Mütterchen Russland trauert. Nur tut es dies wie gewohnt allein.“
Stadt Berlin misst mit zweierlei Maß
Der Berliner Senat hatte mitgeteilt, dass St. Petersburg keine Partnerstadt von Berlin sei und das Brandenburger Tor deshalb nicht in den russischen Nationalfarben angestrahlt wird. To Vima findet das unmöglich:
„Es ist tragisch, wenn die Behörden einer für die Welt so wichtigen Stadt sich so verhalten und sich hinter dem 'Argument' verstecken, dass die vorigen Male, als das Brandenburger Tor mit Nationalfarben angestrahlt wurde, es sich um Partnerstädte handelte. ... Es ist auch eine Lüge, denn weder Orlando noch Jerusalem oder andere Städte, für die diese informelle Tradition umgesetzt worden ist, sind Partnerstädte Berlins. Das Schlimmste aber ist, dass Berlin Politik mit unschuldigen Opfern macht. Wenn Berlin selbst nicht die Erfahrung mit einem Terroranschlag gemacht hätte, wäre es kein Problem, wenn nichts unternommen würde. Aber da dies der Fall ist, ist diese Haltung nicht akzeptabel.“
Warum St. Petersburg den Westen kalt lässt
Dass es im Westen nach dem Terroranschlag vergleichsweise wenig Solidaritätsbekundungen mit Russland gibt, erklärt The Independent so:
„Einigen könnte es schwer fallen, zwischen der widerlichen russischen Geopolitik jenseits der Grenzen des Landes einerseits und seiner 150 Millionen Einwohner großen Bevölkerung andererseits zu unterscheiden. Doch das einzige, das man Russlands Bürgern vorwerfen kann, ist, dass zu viele die Darstellung der russischen Außenpolitik durch den Kreml akzeptieren, ohne diese zu hinterfragen. Und sogar das ist irgendwie entschuldbar, denn diese Darstellung wird ihnen durch das staatlich kontrollierte Fernsehen aufgezwungen. Der zweite Grund, warum die internationale Reaktion auf den Anschlag in St. Petersburg anders ist als zum Beispiel auf den Terror in Nizza ist folgender: Russland ist immer noch eine verrohte Gesellschaft, und der Staat scheint mehr auf Rache denn auf Gerechtigkeit zu sinnen. Das macht es dem Westen schwerer, Mitgefühl zu empfinden.“
Terror wird mittlerweile ausgeblendet
Corriere della Sera hingegen hat eine andere Erklärung dafür, warum massenhafte Solidaritätsbekundungen, wie einst für die Opfer der Terrorangriffe in Paris oder Brüssel, ausbleiben:
„Der dschihadistische Terror ist Normalität geworden. ... Wir haben uns in die Theorie der 'einsamen Wölfe' verkrochen, betäubt von der Gewöhnung an den Terror, der unsere Städte mit Blut tränkt. Wir haben den Krieg, der im Namen des islamistischen Absolutismus geführt wird, in einen Winkel verdrängt und vermeiden, uns mit ihm auseinanderzusetzen, ihn offen zu bekämpfen. ... Damit wir lernen, mit ihm zu leben, in der Hoffnung, ihm zu entwischen, nicht als erstes dafür bezahlen zu müssen, weil wir uns im falschen Moment am falschen Ort befinden. Wir haben gelernt, ihn zu den hässlichen Dingen zu zählen, mit denen wir nun mal leben müssen, wie Raubüberfälle oder die endemische Gewalt gegen Personen und Gegenstände. 'Je suis St. Petersburg'? Nein, die Zeiten sind vorbei.“