Netanjahu bläst Treffen mit Gabriel ab
Eklat beim Antrittsbesuch des deutschen Außenministers in Israel: Premier Benjamin Netanjahu ließ ein Treffen mit Sigmar Gabriel kurzfristig platzen. Grund war eine Diskussionsrunde Gabriels mit den regierungskritischen NGOs Breaking the Silence und B'Tselem, die Israels Vorgehen in den palästinensischen Gebieten verurteilen. Israel schadet am meisten sich selbst, finden einige Kommentatoren. Andere sehen gute Gründe für die Absage.
Seine besten Freunde lädt man nicht aus
Netanjahu schadet in erster Linie seinem eigenen Land, kritisiert Politiken und betont, dass nicht nur der deutsche Außenminister die Menschenrechtslage in Israel und den Palästinensergebieten kritisiert:
„Die USA wollen sich nicht einmischen, doch ein Sprecher des amerikanischen Außenministers erklärte, dass Menschenrechtsgruppen ein wichtiger Teil der Zivilgesellschaft sind - und dass die USA die Siedlungen als Problem für die Friedensbemühungen sehen. Netanjahu war in der israelischen Politik erfolgreich, indem er kritische Soldaten und Menschrechtsaktivisten unter Druck setzte. Aber der Regierungschef vernachlässigt die Interessen seines Landes, wenn er nicht einmal die besten Freunde treffen will. Er schadet der Demokratie seines Landes, wenn er versucht, Menschenrechtsgruppen in ihrer Arbeit zu behindern. Und er vernachlässigt die Sicherheit seines Landes, wenn er glaubt, dass er diese auf der Unterdrückung eines anderen Volkes aufbauen kann.“
Land der Täter muss Verständnis aufbringen
Journal 21 erklärt den Eklat zwischen Netanjahu und Gabriel mit dem Trauma des Holocaust:
„Physische wie psychische Traumata setzen ihr zerstörerisches Werk fort, wenn sie verdrängt oder mit einem Schweigegebot belegt werden. Das war in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs der Fall, wo auf politischer Ebene zwar viel in die sogenannte Vergangenheitsbewältigung investiert wurde, im privaten Bereich eine Auseinandersetzung mit Scham- und Schuldgefühlen jedoch vielfach ausblieb. Das war aber auch in Israel der Fall, wo die Traumata der Verfolgten bis zum Beginn des Eichmann-Prozesses 1961 in der öffentlichen Debatte kaum thematisiert wurden. ... [S]ie können vielleicht ein Stück weit verständlich machen, warum viele der sonst so debattierfreudigen Israelis die Fassung verlieren, wenn sie sich der Kritik am eigenen Verhalten ausgesetzt sehen. So viel an Verständnis für die Folgen traumatischer Erfahrungen sollten Aussenstehende, zumal im Land der einstigen Täter, schon aufzubringen bereit sein.“
Zum Glück ist Gabriel nicht eingeknickt
"Jetzt hat es geknallt", schreibt die Süddeutsche Zeitung - und zeigt sich darüber zufrieden:
„Bislang galt die Maxime, dass alles, was aus Israel kommt, mitgetragen oder wenigstens ertragen wird. Der Dissens beim Thema Siedlungsbau - wegmoderiert von Kanzlerin Angela Merkel mit der Floskel, man sei sich einig, uneins zu sein. Die Attacken gegen die Menschenrechtsorganisationen - höchstens ein Thema für Hintergrundgespräche. Als Berlin jüngst aus Ärger über ein neues Siedlungsgesetz die Regierungskonsultationen absagte, wurde dies verlogen mit Terminschwierigkeiten im Wahljahr begründet. Netanjahu mag aus dieser Leisetreterei gefolgert haben, dass er nun auch Gabriel vom Treffen mit den linken Gruppen abhalten kann, wenn er nur anständig droht. Zum Glück jedoch ist Gabriel nicht eingeknickt. Er hat gezeigt, dass man bei einer Reise nach Jerusalem auch mal zwischen den Stühlen sitzen kann, ohne zu verlieren. Gleich bei seinem ersten Auftritt als Außenminister hat er also mehr Mut bewiesen als seine Vorgänger - und mehr Verantwortung Israel gegenüber.“
Undiplomatischer Auftritt des Außenministers
Der Tagesspiegel erinnert dagegen an das besondere Verhältnis beider Länder und kritisiert Gabriel:
„Die Türkei Erdoğans, das Russland Putins und das China Xi Jinpings lassen sich mit Israel nicht vergleichen. Aber dieser Vergleich wird implizit von Gabriel gezogen, wenn er sagt, Gespräche mit Nichtregierungsorganisationen seien seit vielen Jahren in vielen Ländern üblich. Das kommt - in den Tagen des Holocaustgedenkens - einer Provokation gleich. Und von deutscher Seite einer Anmaßung, der israelischen erklären zu wollen, was unter demokratischen Staaten üblich sei. Netanjahu, der ohnehin keinem Disput aus dem Weg geht, fühlt sich naturgemäß herausgefordert ... Und das alles bei Gabriels Antrittsbesuch! Eines Politikers, der sich zugutehalten kann, Israel schon seit Jahren zu bereisen, offen mit der deutschen Vergangenheit umzugehen - die zugleich die seiner eigenen Familie ist - und ein demokratischer Streiter zu sein. Aber eben auch einer, der darin nicht immer diplomatisch vorgeht.“