Geht Macrons Inszenierung in Versailles zu weit?
Im Schloss von Versailles hat Frankreichs Präsident Macron vor beiden Kammern des Parlaments für einen "radikal neuen Weg" in der Politik geworben. Unter anderem will er das Wahlrecht reformieren, die Zahl der Parlamentarier verringern und den 2015 verhängten Ausnahmezustand aufheben. In der Presse stoßen Inszenierung und Inhalte der Grundsatzrede auf sehr geteiltes Echo.
Im Gewand des Sonnenkönigs
Macrons Auftritt erinnerte an den eines absolutistischen Monarchen, spöttelt ABC:
„Er hält nicht nur die Legislative kurz und stutzt sie zurück - ab sofort darf sie bereits erlassene Gesetze nur noch bewerten und kontrollieren, nicht mehr selbst Gesetzestexte verfassen. Er plant auch, bei Bedarf Referenden abzuhalten, um sich dem parlamentarischen Korsett zu entziehen. Und er will weniger Parlamentarier. Details gab es keine. Die Rede war eine Grundsatzerklärung und eine Inszenierung seiner Macht. Macron hat es eilig. Er will sich Gehör und Respekt verschaffen. In einem Jahr will er die Gesetze zur Erneuerung der Institutionen durchgezogen und bis dahin auch das Sondergericht für die Amtsvergehen von Ministern abgeschafft haben. Gestern ist der junge Jupiter in den Anzug des Sonnenkönigs geschlüpft.“
Kritik an Macron ist Bumerang
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kann der Kritik, Macron inszeniere sich wie ein Monarch, nichts abgewinnen:
„Französische Präsidenten mögen sich zuweilen als republikanische Monarchen darstellen. Auf dem Weg zur Despotie ist das Land gewiss nicht. Man kann die Kritik am selbstbewussten Macron auch übertreiben, selbst wenn er einen Hang zur Inszenierung haben sollte. Jetzt kommt es darauf an, eine neue Dynamik zu entfesseln und für die dafür notwendige Politik Mehrheiten zu organisieren. Die Kritik an Macron ist wie ein Bumerang; er trifft jene, die Jahre des Stillstands, ja des Rückschritts zu verantworten haben. Wenn der neue Präsident einen 'radikal neuen Weg' beschreiten will, dann hat das genau damit zu tun.“
Präsident rüttelt Frankreich wach
Macrons Rede in Versailles könnte in Frankreich tatsächlich eine Erneuerung anstoßen, meint der Tages-Anzeiger:
„Seine Pläne kommen zwar keiner Revolution gleich, wie er behauptete. Aber die angekündigten institutionellen Reformen sind vernünftig, und der jugendliche Elan des Präsidenten könnte dem Land jenen Stromstoss versetzen, den es so dringend benötigt. ... Zugute kommt Macron die erdrückende Parlamentsmehrheit seiner Partei En Marche. Im Unterschied zu Hollande hat er ausserdem erkannt, wie wichtig es ist, Reformen zu Beginn der Amtszeit anzupacken. Und nicht zuletzt herrscht in Frankreich eine derartige Enttäuschung über den Status quo, dass das Versprechen eines Umbruchs grosse Anziehungskraft entfaltet.“
Wille zur Tat ist nicht erkennbar
Als zu vage kritisiert Libération die Grundsatzrede:
„Mit dieser Rede, die zu lang und in 'moderato continuo' aufgesagt wurde, hat der Präsident der Republik die Erwartungen ein bisschen enttäuscht. Er hatte sie selbst geschaffen, indem er diesen feierlichen Auftritt vor dem versammelten Kongress aufs Programm gesetzt hat. … Obwohl er versprach, sich der Realität zu stellen, blieb er unpräzise. Seine Äußerungen waren nicht mittelmäßig, und auch nicht zu platt. Ganz im Gegenteil: Rhetorisch war die Rede geschliffen. Doch die parlamentarische Eloquenz in dieser alten Republik des Wortes verdient mehr Kontraste, eingängige Formulierungen, Zusammenfassungen und Brüche im Ton. ... Man muss wohl auf die Rede von Premierminister Edouard Philippe warten, um hoffentlich den Willen zur Tat zu entdecken, der gestern mit so viel Nachdruck verkündet und so wenig veranschaulicht wurde.“