Polen: Was steckt hinter Dudas Veto?
Zwei Tage nachdem Polens Präsident Andrzej Duda sein Veto gegen zwei der drei geplanten Gesetze zur Justizreform ausgesprochen hat, rätselt Europas Presse weiter über die Hintergründe. Manche sehen in seinem Veto einen Erfolg der Demonstranten. Für andere ist der Präsident nach wie vor eine Marionette seines PiS-Parteichefs Jarosław Kaczyński.
Duda hat vor dem Mob kapituliert
Der Präsident sollte seine Entscheidung so weit wie möglich rückgängig machen, fordert Michał Karnowski in Wpolityce.pl:
„Seine Entscheidung war schlecht durchdacht und voreilig. Wahrscheinlich werden wir - die Polen, die eine Sanierung des Staats unterstützen - noch lange teuer dafür bezahlen. ... Meiner Einschätzung nach gibt es eine Lösung: Es reicht, wenn Präsident Duda im Rahmen der von ihm angekündigten gesetzgeberischen Initiative dem Parlament die gleichen Gesetze vorlegt, gegen die er sein Veto ausgesprochen hat - natürlich mit Korrekturen in einigen Punkten. ... Zwar verschwinden dadurch nicht die dunklen Wolken über dem Lager derer, die Polen sanieren wollen. Diese sind entstanden, weil der Präsident vor der vulgären, von einem blutigen Maidan träumenden Straße kapituliert hat. Aber es gäbe zumindest eine Chance auf Schadensbegrenzung.“
Kaczyński ist der eigentliche Drahtzieher
Das Veto des polnischen Präsidenten war nichts als ein taktisches Manöver, ist Postimees sicher:
„Zweifellos ist das Veto nicht der Initiative von Präsident Andrzej Duda zu verdanken. Der eigentliche Drahtzieher in Polens Politik ist weiterhin nur ein Mann, und der Präsident ist nur sein Werkzeug. Jarosław Kaczyński hat viele Eigenschaften, die ihn zu einem großen Politiker machen. ... Er ist sehr intelligent, grundsatzfest, ein großartiger Stratege und geschickter Polit-Ingenieur. ... Leider ist Kaczyński auch äußerst stur, rachsüchtig und paranoid. Diese negativen Eigenschaften zu kennen ist wichtig, um die polnische Entwicklung zu verstehen, mit der in den letzten Jahren zielstrebig das Rechtssystem, Sonderdienste und Medien unter Kontrolle gebracht wurden - mit dem Ziel, Kaczyńskis persönliche Macht auszubauen.“
PiS-Feinde im Ausland dramatisieren die Lage
Die aus dem Ausland tönende Kritik an Polen ist stark übertrieben, findet das Internetportal Echo24:
„Die derzeitige polnische Regierung verhält sich im europäischen Rahmen autonom, was als autoritär und nationalistisch überzeichnet wird. Die Kritiker der Regierung haben eine starke Lobby in ausländischen Medien, beispielsweise in Person der bekannten Kommentatorin der Washington Post, Anne Applebaum, der Ehefrau des früheren Außenministers Radosław Sikorski von der Bürgerplattform. Dabei vollzieht sich in Polen nichts anderes als ein üblicher politischer Kampf zwischen Liberalen und Konservativen. Wenn die Bürgerplattform und die übrige Opposition in zwei Jahren die Polen mit ihren Programmen überzeugen können, können sie ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen umsetzen. Die Wahlen sind allein in der Hand der Polen.“
Solidarność ist wieder erwacht
Magyar Nemzet sieht in Polen eine Renaissance der an Europa orientierten Bewegung:
„Der traditionsreiche demokratische Widerstand in Polen scheint seine fröhliche Auferstehung zu feiern. Der Neuentwurf des weltweit bekannten Solidarność-Logos und die bei den Demonstrationen erschallenden Rockschlager des demokratischen Widerstands von einst sind klare Zeichen dafür, dass ein Ruck durch die Gesellschaft gegangen ist. ... Welche Veränderungen diese Demonstrationswelle mit sich bringen wird, bleibt abzuwarten. Eines ist aber schon jetzt zu sehen: Die Demonstranten, die gemeinsam polnische und EU-Fahnen schwenken, könnten nicht unterschiedlicher sein: liberale Hipster, ehemalige Oppositionelle und furchteinflößende Fußball-Ultras vom rechten Rand.“
Erstaunlich verantwortungsbewusst
Der Aufstand des Präsidenten gegen Kaczyński war notwendig, findet Pravda:
„Dudas Verantwortung für das Land war größer als seine Loyalität gegenüber der Partei. Bislang schien es so, als würde er stets treu die Anordnungen Kaczyńskis umsetzen. ... Dessen Experiment hätte Polen jedoch in die Isolation führen können. Duda war sich dieser Gefahr offensichtlich bewusst. Zudem musste ihm klar sein, dass er sich mit seiner Unterschrift um seine künftige Karriere bringen könnte. Zwar macht sich, was postkommunistische Richter betrifft, niemand Illusionen. Und die PiS gewann die Wahlen mit einem Programm, das sich gegen die Reste des Kommunismus in der Gesellschaft richtet. Aber bei der Justiz hatte Kaczyński eindeutig eine rote Linie überschritten.“
Fragwürdige Motive
Präsident Duda hat sich mit seinem Eingreifen noch nicht klar gegen die Justizreform positioniert, warnt der Tages-Anzeiger:
„Die Verfassung selbst und den in ihr festgeschriebenen Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit erwähnt der Präsident bei der Ankündigung seines Vetos nicht. Ausserdem will er ein drittes, ebenfalls verfassungswidriges Gesetz zulassen, das zwar nicht das oberste Gericht, aber die meisten anderen polnischen Gerichte dem Justizminister unterstellt. Bis zum Beweis des Gegenteils ist deshalb fraglich, ob Duda tatsächlich aus Sorge um den Rechtsstaat handelt - oder aus Sorge über zu viel Macht für Polens Justizminister und zu wenig Macht für sich selbst.“
Kaczyński hat sich verrechnet
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sieht mit Präsident Duda einen machtvollen Gegenspieler zu Kaczyński heranwachsen:
„Das dürfte mehr Bewegung in die politische Landschaft des Landes bringen als alle Demonstrationen der Opposition zusammen. Kaczyński hat sich offenbar in einer Hinsicht verrechnet: Wer selbst keine staatlichen Ämter übernimmt, kann nicht alle Fäden in der Hand halten. Es ist gut, dass diese Entwicklung von Polen selbst ausgeht. Den diversen Brüsseler Verfahren zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit haftet stets der Geruch von äußerer Einmischung und Gängelung an. ... [J]etzt sollte man den Polen etwas Zeit geben, einen neuen Konsens darüber zu finden, wie sie das Verhältnis von Politik und Justiz künftig gestalten wollen. Dafür gibt es in Europa nicht nur ein Modell.“
Rechte könnte sich spalten
Rzeczpospolita glaubt, dass der Präsident nun einen Teil der Rechten um sich sammeln könnte:
„Duda hat gezeigt, dass er, wenn er will, ein selbstständiger Politiker sein kann, der den Mut hat, sich der PiS und Jarosław Kaczyński entgegenzustellen. ... Das bedeutet, dass alle, die mit der Strategie des dauerhaften Konflikts und der Radikalität des PiS-Chefs nicht einverstanden sind, anfangen könnten, sich um Präsident Duda zu scharen. ... Dadurch könnte die Rechte in zwei Lager zerfallen - in ein radikal-revolutionäres um Jarosław Kaczyński und ein gemäßigteres, republikanisch-konservatives um Andrzej Duda.“
Für die EU kommt Veto wie gerufen
Dass das Einschreiten des Präsidenten bei der EU Erleichterung auslösen dürfte, glaubt Etelä-Suomen Sanomat:
„Die Veto-Entscheidung von Präsident Duda kommt für die EU wie gerufen. Die EU hätte weiter an Autorität und Glaubwürdigkeit eingebüßt, wenn sie noch einmal tatenlos hätte zusehen müssen, wie ein Mitgliedsland die gemeinsamen Werte der Union und die Prinzipien des Rechtsstaates verletzt. Auch künftig werden Regierungen wie die in Polen und Ungarn diese Werte herausfordern. Die EU muss sich deshalb überlegen, wie sie künftig mit solchen Situationen umgeht.“