Was tun gegen Estlands Drogenproblem?
Nirgendwo in Europa sterben so viele Menschen an einer Überdosis wie in Estland. 2015 kamen 103 Drogentote auf eine Million Einwohner, fünfmal mehr als im europäischen Durchschnitt. In der estnischen Presse fordern Kommentatoren ein Umdenken in Politik und Gesellschaft, um den Abhängigen im Land besser zu helfen.
Sucht als Krankheit anerkennen
Die Leiterin einer Rehaklinik, Rita Kerdmann, stellt sich in Õhtuleht gegen das Argument vieler Bürger, die Drogensüchtigen seien an ihrer Lage selbst schuld:
„Laut der internationalen Klassifikation von Krankheiten ist Abhängigkeit eine Krankheit. Genau wie Depression oder Angst, oder sogar Diabetes und Bluthochdruck. Wie wäre es, wenn wir als Diskussionsgrundlage davon ausgehen, dass wir von einer Krankheit reden, die behandelt werden muss? Und wenn wir uns überlegten, wie man das möglichst effektiv und schmerzlos für alle Beteiligten tun kann - für Süchtige, Angehörige, Gemeinden und das Staatsbudget.“
Weniger Härte, mehr Fürsorge
Für Mart Kalvet von der Organisation der Drogenabhängigen ist klar, dass eine Drogenpolitik, die auf härteren Strafen basiert, das Problem nicht löst. So schreibt er in Eesti Ekspress:
„Liebe hilft viel mehr als Angst. Die Generationen, die mit diesem Verständnis aufgewachsen sind, sollten verstehen, dass dies auch für ihre Mitbürger gilt, die Probleme mit verbotenen Substanzen haben. Dann könnten wir gemeinsam eine gesündere, freiere und menschenwürdigere Zukunft aufbauen. Wenn aber die meisten Anstrengungen in den Kampf zwischen Ministerien, Ämtern, der Verwaltung und einer ängstlichen Bevölkerung fließen, kommt man zu keinem Ergebnis. Als Beobachter der Drogenpolitik glaube ich, dass es schon heute möglich ist, Schritte zu tun, die die Bürger, die Abhängigen und die betroffenen Ämter miteinander versöhnen.“