Katalonien: Ist Spaniens Staatskrise beendet?
In Barcelona haben am Sonntag Hunderttausende für die Einheit Spaniens demonstriert. Die Zentralregierung in Madrid hatte das abtrünnige Katalonien unter Zwangsverwaltung gestellt und Neuwahlen in der Region für den 21. Dezember angekündigt. Jetzt muss Rajoy die Wähler überzeugen, um einen Sieg der Separatisten zu verhindern, fordern einige Kommentatoren. Andere finden, dass Spanien in vielerlei Hinsicht schon jetzt zur Normalität zurückkehrt.
Normalität durch Neuwahl
Die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Madrid bis zur Wahl am 21. Dezember wird Katalonien wieder auf den rechten Pfad zurückführen, glaubt El País:
„Wird der Artikel 155 mit Augenmaß, Kohärenz und Intelligenz angewandt, könnte Katalonien wahrscheinlich schnell zur institutionellen Normalität zurückkehren. Bis aber die vom Separatismus aufgerissenen Wunden der katalanischen Gesellschaft verheilen, wird es länger dauern. ... Die Separatisten müssen verstehen, dass ihre Forderungen - sofern sie sich innerhalb des rechtlichen Rahmens bewegen - ebenso legitim sind, wie die der anderen. Jetzt haben sie die Gelegenheit, sich mit den anderen Kräften dort zu messen, wo dies in einer Demokratie üblich ist: Beim Gang zur Wahlurne. ... Die gesellschaftliche Mehrheit muss sich organisieren, um die Wahl zu gewinnen, damit sich der aktuelle Alptraum in Katalonien nicht wiederholt.“
Separatisten überschätzten Volkes Willen
An den Demonstrationen für die Einheit des Landes nahmen auch viele Katalanen teil. Das ist ein gutes Zeichen, findet De Standaard:
„Es sieht so aus, als ob die Parteien, die die Unabhängigkeit befürworten, den Willen des Volkes überschätzt haben, in Eigenständigkeit seinen Weg zu gehen. Auf der Grundlage ihres Wahlsieges von 2015 sahen sie ihre Wünsche als Realität an. Das boykottierte Referendum, bei dem 90 Prozent für die Unabhängigkeit stimmten, hat sie blind gemacht. ... Zweifellos fordern viele Katalanen mehr Befugnisse von Madrid, weil sie mehr in die spanische Schatzkiste einzahlen, als sie zurückbekommen. Aber weil viele Katalanen mehr Autonomie wollen, bedeutet das nicht, dass sie auch für ein unabhängiges Katalonien sind.“
Traum von der Unabhängigkeit ist beendet
Der Kampf in Katalonien ist entschieden, fasst die Tageszeitung Hospodářské noviny ihre Sicht der Dinge zusammen:
„Ohne einen Tropfen Blut sind die Katalanen um ihre Unabhängigkeit gekommen, kaum dass sie ausgerufen wurde. Sie erklärten sich mit Neuwahlen zufrieden. Den Chefs im Kampf um die Selbstständigkeit ist klar geworden, dass keiner der heißblütigen Fans der Unabhängigkeit dieses Streben so ernst meinte, dass er für die 'Freiheit der Heimat' sein Leben geben würde. Das gab den Ausschlag. Der Geist des Separatismus, der quer durch Europa aus der Flasche entwich, muss wieder zurück. Wer sich auf unserem Kontinent ähnlich verhalten möchte, etwa einige reiche italienische Regionen, muss sich das nach der Erfahrung der Katalanen genau überlegen. Das ist gut so.“
Rajoy muss separatistische Katalanen umstimmen
Ob die Neuwahl ein Ausweg aus der Katalonien-Krise ist, hängt entscheidend von Premier Rajoy und seinem Management der Machtübernahme in Barcelona ab, meint die Neue Zürcher Zeitung:
„In weniger als zwei Monaten, am 21. Dezember, sollen nach seinem Fahrplan in Katalonien vorzeitige Neuwahlen für das Regionalparlament stattfinden. Bei der letzten Wahl vor zwei Jahren erreichten die Separatisten eine absolute Mehrheit im Parlament. Rajoy muss also zumindest einen Teil der Wähler umstimmen, will er einen erneuten Sieg der Unabhängigkeitsbefürworter verhindern. Sollte allerdings auch unter Madrids Kontrolle wieder eine separatistische Parlamentsmehrheit gewählt werden, so wäre dies ein Fiasko für Rajoy.“
Eigenständigkeit wäre gerechter
Auch wenn ein unabhängiges Katalonien nicht im Einklang mit dem Gesetz wäre, es wäre dennoch die gerechtere Option, findet Jutarnji list:
„Die spanische Regierung verschanzt sich hinter der Verfassung und gesteht der katalanischen Nation das Recht auf Selbstbestimmung nicht zu. Dies kann eine politische Option sein, aber keine ethische. Sie kann im Einklang mit dem Recht sein, ist aber nicht gerecht. Die spanische Regierung wird die Verantwortung für diese Option tragen, aber wahrscheinlich nicht die Konsequenzen, die ganz Spanien betreffen werden.“