Die Oscars nach MeToo: Hat Hollywood verstanden?
Nach der 90. Oscar-Verleihung in Los Angeles beschäftigen sich Kommentatoren weniger mit den Preisträgern wie der Fantasy-Romanze "The Shape of Water", die vier Trophäen gewann. Im Mittelpunkt des Interesses steht vielmehr die Frage, wie Hollywood auf die aufgedeckten Missbrauchsskandale reagiert und ob es dem von Trump propagierten Amerika etwas entgegensetzt.
MeToo hat Wirkung gezeigt
Das war eine ehrliche Preisverleihung, lobt NRC Handelsblad:
„Endlich eine Oscar-Verleihung, die sich selbst ernst nahm. … Und bei der nicht um den heißen Brei herum geredet wurde. 2017 war ein bewegtes Jahr für die Filmindustrie und der Grund dafür wurde gleich in der Eröffnungsrede angesprochen: Der sexuelle Machtmissbrauch in der Filmindustrie, der unter den Hashtags MeToo und TimesUp so effektiv angeprangert wurde, dass bestimmte Männer nun ängstlich um sich schlagen. Mit Filmmogul Harvey Weinstein als monströse Gallionsfigur eines perversen Menschenbilds wurde eine bösartige Seite von Hollywood demaskiert. 2017 ist das Jahr, in dem die Filmindustrie verstanden hat, dass sie solchen Missbrauch mit ihren Filmen aktiv propagiert hat.“
Immerhin nicht miefig und bitter
Auch Dorothea Hahn, US-Korrespondentin der taz, ist angetan. Für sie war die Veranstaltung alles in allem ein willkommener Gegenentwurf zu Trumps Politik:
„Statt seinem miefigen, rückwärtsgewandten, weißen, patriarchalischen, bitteren, rachsüchtigen und angeblich 'großen' Amerika feierten sie ein Land, das offen ist. Für Frauen und für Einwanderer, für Afroamerikaner und Latinos, für Dreamers, Schwule und Lesben, für Menschen, die in kompletten Sätzen reden und für eine Feministin, die sich selbst eine Anarchistin nennt. … Hollywood hat den [eigenen] Skandal von sexueller Gewalt und Sexismus mit dieser Zeremonie … noch lange nicht überwunden. … Aber trotzdem: Hollywood hat gezeigt, dass es zuhört und veränderungswillig ist.“
Das war noch nicht überzeugend
Weniger überzeugt vom Spektakel im Dolby Theatre in Los Angeles ist Diário de Notícias:
„Wozu war man eigentlich dort? Um der Welt zu zeigen, dass sich die Dinge ändern und Frauen nicht länger die Accessoires für ältere Männer sind? Um den Anschein zu erwecken, dass man sich der Notwendigkeit von mehr Diversität bewusst ist und deshalb einen mexikanischen Regisseur auszeichnet und zum ersten Mal einem Afro-Amerikaner den Oscar fürs beste Original-Drehbuch zuspricht? Diese historischen Entscheidungen hinterließen, aus welchem Grund auch immer, nicht den zu erwartenden triumphalen Eindruck. ... Hier, in Hollywood, sind alle Wolken vergänglich und geht die Sonne immer auf. Vielleicht wird sie in einem Jahr ganz andere Blumen zum Blühen bringen.“