Vertrag von Trianon: Ungarns nationales Trauma?
Für die einen ist es eine schmerzende Wunde, für die anderen ein abgeschlossenes Kapitel: Am 4. Juni 1920 unterzeichnete Ungarn unter Protest den Friedensvertrag von Trianon und verlor damit 60 Prozent seiner Landesfläche. Es war einer der Verträge, die den Ersten Weltkrieg formal beendeten.
Gleichberechtigung für Auslandsungarn
In Folge des Friedensvertrags von Trianon lebte plötzlich jeder dritte Ungar in einem anderen Staat. Die regierungsnahe Tageszeitung Magyar Idők mahnt die Gleichberechtigung dieser ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern an:
„Unser Ziel ist es, dass alle Bewohner des Karpatenbeckens frei in ihrem Geburtsland leben können, ohne nach ihrer Ethnie unterschieden zu werden - als wahrhaft und nicht nur durch Lippenbekenntnisse gleichberechtigte Bürger, die ihre Kultur pflegen und ihre Muttersprache nutzen dürfen. Um das zu erreichen, müssen wir auch die abgebrochenen, zerstörten ungarisch-ungarischen Beziehungen wieder ordnen. Wir müssen erreichen, dass die Nationen die im Karpatenbecken leben, sich nicht als Gegner sehen, sondern als Partner, die sich gegenseitig dabei helfen, glücklich zu werden. Wäre das eine Utopie?“
Abkommen hat Hass gesät
Der vierte Juni ist ein Tag, den jeder Ungar verflucht, erinnert die konservative Wochenzeitung Magyar Hang:
„Das Schicksal, oder sagen wir lieber das Unglück, wollte es so, dass gerade jener Tag zum Tag der ungarischen Einheit wurde [ungarischer Feiertag seit 2010], der vielleicht den größte Aderlass unserer Geschichte verursachte. Der 4. Juni ist der Tag, an dem das Friedensdiktat von Trianon unterschrieben wurde, das den Ersten Weltkrieg beendete. Dieser Tag, den jeder Ungar, der seit dem 20. Jahrhundert in Ungarn oder einem seiner abgespaltenen Teile gelebt hat, mindestens einmal verflucht hat. Dieser Tag, der das Schicksal unserer Nation noch viel später bestimmt hat. Dieser Tag, der Familien zerrissen hat, ein Land verstümmelt und schließlich den Samen des Hasses zwischen den Völkern des Karpatenbeckens gesät hat.“
Erinnerung ist nur noch Geschichtskitsch
Heute ist die Erinnerung an Trianon nur noch ein leeres Ritual, findet hingegen Mandiner:
„Trianon ist zum Kitsch geworden. ... Wir reden darüber und bringen Pro- und Kontra-Argumente, warum Trianon hätte vermieden werden können oder eben nicht. Wir gucken Musicals darüber an und ziehen uns bunte T-Shirts an, um daran zu erinnern. Am Anfang der 2000er Jahre sahen viele eine Möglichkeit darin, mit den im Kommunismus vollkommen unterdrückten nationalen Gefühlen Geschäfte zu machen. ... Das ging von T-Shirts mit der Aufschrift 'Ich bin Ungar, kein Tourist', über Albert Wass [nationalistischer Schriftsteller aus Siebenbürgen] bis zu Auto-Aufklebern von Großungarn. Dabei erinnern sich die meisten Ungarn nur noch an Trianon wie an den Tod eines entfernten Verwandten, den sie gar nicht kannten.“