Sollen Briten nochmal über Brexit abstimmen?
Londons Bürgermeister Sadiq Khan hat in einem Gastbeitrag ein erneutes Brexit-Referendum gefordert. Die Konsequenzen für die Wirtschaft und den Lebensstandard der Briten seien zu hoch, als dass ihnen ein weiteres Mitspracherecht verwehrt werden dürfe. Während einige Kommentatoren große Hoffnungen in die mögliche Abstimmung setzen, sehen andere mindestens einen Haken an der Sache.
Undemokratischer Vorschlag
Ein erneutes Referendum würde die Risse in der britischen Gesellschaft nur vertiefen, warnt The Daily Telegraph:
„Sadiq Aman Khan hat seine wahren Intentionen verraten, indem er ein Referendum mit drei Optionen gefordert hat. Die Wähler sollten entscheiden können, ob sie in der EU bleiben, das Brexit-Verhandlungsergebnis der britischen Regierung mit Brüssel akzeptieren oder die Union ohne Abkommen verlassen wollen. Das würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass die beliebteste Option weniger als 50 Prozent der Wählerstimmen erhält. Daher wäre diese Vorgangsweise weder demokratisch noch könnte sie dazu beitragen, die tiefen Risse zu schließen, die der Brexit geschaffen hat. Tatsächlich würden sich diese nur noch weiter vertiefen.“
Keine Mehrheit für die EU
Auch der Tagesspiegel reagiert skeptisch auf den Vorschlag des Londoner Bürgermeisters:
„Khan vertritt eine urbane Mittelschicht, die gemeinsam mit vielen anderen Briten beim Brexit auf der Verliererseite stehen wird. Wer in der britischen Hauptstadt im Finanzsektor arbeitet, wird beim EU-Austritt mindestens genauso das Nachsehen haben wie etwa die Beschäftigten in der Automobilbranche in Oxford. ... Damit ein zweites Referendum Sinn ergäbe, müsste sich in den Umfragen eine eindeutige Mehrheit für die EU abzeichnen. Dies ist aber - allen Szenarien über einen möglichen No-Deal-Brexit zum Trotz - nicht der Fall. Auch wenn die negativen wirtschaftlichen Folgen des Brexit allmählich ins Bewusstsein der britischen Öffentlichkeit sickern, so scheint es immer noch einen sehr starken Willen zu geben, sich von der ungeliebten EU loszusagen.“
Langsam verzieht sich der Nebel
Die Unsicherheit, in welcher die Briten sich derzeit befinden, beschreibt Les Echos:
„Die Verhandlungen zwischen London und Brüssel dauern an. Niemand weiß wirklich, ob es einen harten, einen soften, oder gar keinen Brexit geben wird. Und die Briten scheinen selbst nicht zu wissen, ob es besser wäre, diesen Kreuzweg zu Ende zu gehen oder umzukehren und ein sehr hypothetisches neues Referendum zu organisieren. Aber Schritt für Schritt löst sich der Nebel nun auf. Die Briten beginnen zu sehen, was sich in ihrem täglichen Leben ändern könnte, falls es keinen Deal geben sollte. ... Langsam aber sicher ist der Brexit dabei, die Finanzwelt umzugestalten. Wenn die Briten die EU ohne Freundschaftsabkommen verlassen, wäre das ein echter Sprung ins Leere.“
Khan bietet einen Strohhalm
Mit dem neuen Referendum könnte im letzten Moment die Notbremse gezogen werden, bevor das Vereinigte Königreich in einen harten Brexit rast, hofft Upsala Nya Tidning:
„Am 13. November ist ein zusätzlicher EU-Gipfel geplant, um die Bedingungen [des Brexits] festzulegen. Wenn das britische Parlament den Vorschlag von Theresa May ablehnt, ist es zu spät, um von vorne zu beginnen. ... Der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan (Labour) bietet einen Strohhalm an, wenn er ein neues Referendum über das ausgehandelte Abkommen fordert (oder wenn nichts ausgehandelt wird). 'Die Menschen haben dafür gestimmt, die EU zu verlassen, nicht ärmer und isolierter zu werden', schreibt er.“