Brexit: Chance für ein zweites Referendum?
Die britische Premierministerin May hat sich zwar im Kabinett mit ihren Brexit-Plänen durchgesetzt, doch die Zustimmung des Parlaments gilt als unsicher. Zudem droht ein Misstrauensvotum in ihrer Partei. Beobachter halten nun ein zweites Brexit-Referendum für möglich. Während einige Kommentatoren inständig auf einen neuen Volksentscheid hoffen, klingt die Idee für andere komplett absurd.
Es ist noch nicht zu spät
Der britische Ex-Premier Tony Blair wendet sich in einem eindringlichen Appell, der unter anderem von Le Monde veröffentlicht wird, an Europas Staats- und Regierungschefs:
„Glauben Sie nicht, dass dieser Brexit-Deal halten wird. Er ist für beide Seiten ein schlechtes Geschäft. Er ist weder beim britischen Parlament noch beim britischen Volk oder gar einem bedeutenden Teil des verbleibenden Kabinetts beliebt. Seien Sie also auf alle Eventualitäten vorbereitet, einschließlich der Möglichkeit eines neuen Referendums. ... Es ist nicht zu spät, die Sackgasse zu verlassen. ... Es gibt jetzt mehr Unterstützung für ein neues Referendum als für jede andere Alternative. Ich sage den Führern Europas: Helfen Sie uns, einen Fehler zu vermeiden, der nicht nur unsere Zukunft, sondern auch Ihre Zukunft ruinieren wird.“
Nur Brexiteers könnten so etwas fordern
Ein erneutes Referendum passt zur Strategie Theresa Mays, beobachtet Observador:
„Mit der Aushandlung eines Brexit-Abkommens, das Großbritanniens Verbindung zur EU aufrechterhält, hat May die Brexit-Anhänger dazu gedrängt, für ein zweites Referendum einzutreten. ... Dies ist ein entscheidender Moment, auch wenn May die Volksbefragung nicht offiziell verteidigt. Denn nur ein neues Referendum kann den Brexit tatsächlich noch umkehren. Doch dieses neue Referendum muss von den Brexit-Befürwortern (den Siegern des ersten Referendums) gefordert werden, niemals von den 'Besiegten'. Denn letzteres würde als eine antidemokratische Abrechnung betrachtet werden. May hat sich geopfert und wird womöglich fallen - sie hat aber ein Fenster der Hoffnung geöffnet - denn der Brexit ist nicht mehr irreversibel.“
Verbleib in der EU wäre sehr britisch
Sollten die Briten jetzt doch in der EU verbleiben, wäre das sehr britisch, findet Tygodnik Powszechny:
„Kann es sein, dass es gar nicht zum Brexit kommt? Das ist wenig wahrscheinlich, aber immer noch möglich. Premierministerin May lehnt ein weiteres Referendum ab, doch sogar einige Mitglieder ihrer Partei äußern sich positiv zu der Idee. Bei dem politischen Chaos auf den Inseln wäre zum Ende der dreijährigen Serie 'Brexit' ein Verbleib in der Europäischen Union doch sehr britisch: etwas absurd, etwas surrealistisch, aber immer noch: am pragmatischsten.“