Politik in der Social-Media-Arena
EU-Justizkommissarin Jourová hat die Tech-Konzerne aufgerufen, für einen fairen Wahlkampf zur Europawahl zu sorgen. Angesichts zunehmender Desinformation sei die Branche in der Pflicht, Abwehrmaßnahmen zu treffen, sagte sie Anfang November in Lissabon. Auch Regierungen, unter anderem in Frankreich, machen sich Gedanken um den Kampf gegen Fake News. Verändern die sozialen Medien die politische Kultur?
Wahrheitsfindung im Eilverfahren?
Die französische Nationalversammlung hat vergangene Woche ein Gesetz beschlossen, nach dem Kandidaten und Parteien im Wahlkampf gerichtlich gegen vermeintliche Falschnachrichten vorgehen können. The Daily Telegraph hält dies für den falschen Ansatz:
„Macrons Regierung ist leider einem schrecklichen Irrtum erlegen. Sie ist zu folgendem Schluss gekommen: Wenn sich falsche Informationen verbreiten, muss der Staat einschreiten und verfügen, was Wahrheit und was Unwahrheit ist - und dann Letzteres ausmerzen. Macht ja nichts, dass es für ein Gericht nahezu unmöglich und ausgesprochen gefährlich ist, Inhalte, von denen es möglicherweise nichts versteht, innerhalb von 48 Stunden auf deren Wahrheitsgehalt zu untersuchen. Ein solcher Vorgang würde bei einem erfahrenen Journalisten oft mehrere Tage dauern.“
Anonyme Angestellte bestimmen die Agenda
In Grundsatzüberlegungen nimmt Kristeligt Dagblad kritisch Stellung zu Facebooks Lösch-Politik:
„Da sitzt ein Heer von Angestellten, die Beiträge löschen. Diese Menschen haben keine politischen Argumente. Sie haben gelernt, das Löschen damit zu erklären, dass die Beiträge gegen die Regeln der Firma oder die Unternehmenspolitik verstoßen. Sie haben kein Gesicht und selten kommt man in Kontakt mit ihnen. Den Rahmen einer politischen Debatte kann man mit ihnen nicht diskutieren. Dabei verwalten sie aber die weltgrößte Plattform für politische Debatten und die Politiker passen sich an ihre Bedingungen an, anstatt sie zu zügeln. Es ist mehr als fraglich, ob sich unsere Enkel in 50 Jahren noch über die Entwicklung von heute freuen werden. Selbst wenn die Sozialen Medien scheinbar Ressourcen sparen, so kommen sie uns doch auf vielerlei Art und Weise teuer zu stehen.“
Gesellschaft der einsamen Wutbürger
Für El País verstärken soziale Medien ein gravierendes gesellschaftliches Problem:
„Die Mehrheit der Bürger fühlt sich sehr einsam und bezeichnet ihre sozialen Beziehungen als leer. Noch Salz in die Wunde streut die Universität von Kalifornien mit Zahlen, die belegen, dass sich diese Gefühle von Generation zu Generation intensivieren. Diese Einsamkeit ist nicht harmlos. Sie führt zu Ängsten und Wut und braucht Kompensation. Sie radikalisiert das Denken, das Sprechen, das Autofahren, das Wählen. Das soziale Wesen fühlt sich betrogen, weil es sich in einer Masse von Leuten einsam fühlt, von denen es denkt, dass sie sich alle prächtig amüsieren. Und es will, dass jemand dafür zahlt. Wir entwickeln uns gerade zu einer wütenden Gesellschaft.“