Rücktritt von Morales: Wie geht es weiter?
Am Sonntag ist Evo Morales, der langjährige sozialistische Präsident Boliviens, nach Aufforderung des Militärs zurückgetreten. Zuvor hatte es anhaltende Proteste gegen seine umstrittene Wiederwahl vor drei Wochen gegeben. Kommentatoren fragen sich, welche Lehren aus Morales' Abgang zu ziehen sind.
Nächste Regierung hat es nicht leicht
Eine großzügige Sozialpolitik, wie die von Morales, wird sich das Land nicht mehr leisten können, fürchtet Habertürk:
„Was wirtschaftlich schief lief, war der Einbruch der Rohstoffpreise. Dadurch wurde es für Morales schwieriger, das beständige öffentliche Defizit von rund sieben Prozent zu finanzieren. ... Es ist schwierig vorauszusagen, was jetzt passieren wird, aber man kann unmöglich so hohe Sozialausgaben tätigen, indem man nur Erdgas, Zink und Zinn verkauft. Wenn man das gemischte Zeugnis der Linken und die Probleme der Nachbarn addiert, wird die Arbeit der nächsten Regierung sehr schwierig.“
Bolivien befreit sich von Stalins Ideen
Das Portal Bernardinai.lt feiert den Rücktritt Morales' als Sieg der Demokratie:
„Was ist das größere Gut: satt sein oder frei sein? Kann ein Hungriger von Freiheit träumen? Kann er sich um irgendwelche unvollkommenen Demokratien kümmern? Doch nicht nur ein Hungriger kann ein Sklave sein. Ein übersättigter, von Größenwahn befallener Mensch ist kein geringerer Sklave, Sklave des Geldes und der Hochmütigkeit. Kann ein Sklave ein Land regieren? Wie sieht die Zukunft eines solchen Landes aus? Das ist der Kampf der tatsächlich in Bolivien stattfindet. Ein Kampf der moralischen Werte. Deshalb betrifft es auch nicht nur Bolivien. Stalins Idee ist erloschen. Es sieht so aus, als hätten sich auch die Bürger Boliviens von ihrem 'Ersatz-Stalin' Morales befreit. ... Heute feiert das Land einen Sieg der Demokratie.“
Lehrreiches Negativbeispiel für den Kreml
Aus dem Sturz von Morales kann die russische Regierung nur den Schluss ziehen, nie freie Wahlen um die Staatsführung zuzulassen, meint Wedomosti:
„Der schnelle Sturz Morales' legt - verglichen mit dem Fortbestand der Diktaturen von Assad und Maduro unter den Bedingungen einer weitaus härteren und längeren Konfrontation mit einem großen Teil der Bevölkerung - alle Trümpfe in die Hand der Verfechter von hartem Polizeistaat und Reaktion. Solche sind überzeugt, dass sich nur der an der Macht halten kann, der bereit zum Blutvergießen ist und sich mit einem treu ergebenem Sicherheitsapparat umgibt, der im Bedarfsfall bereit ist, auf Demonstranten zu schießen. Dies gilt auch unter den Bedingungen von Wirtschaftskollaps, Blockade und Bürgerkrieg - von verfälschten oder verlorenen Wahlen einmal ganz zu schweigen.“
Das war ein faschistischer Putsch
Morales wurde unrechtmäßig gestürzt, findet das Onlineportal Artı Gerçek:
„Schlußendlich haben Polizeichefs, Generäle und kapitalistische Milliardäre wie Camacho durch einen Putsch die Macht übernommen, wie sie es durch Wahlen niemals erreicht hätten. Die Putschbewegung, die mit der Behauptung begann, Morales hätte es nicht verdient, im ersten Wahlgang zu gewinnen, endete mit dem Aufstieg des faschistischen Mesa-Camacho-Blocks an die Macht. Dabei hatte es in Bolivien gar keine Diskussion darüber gegeben, ob Morales die Wahl gewonnen hatte. Es wurde nur darüber diskutiert, mit wieviel Prozentpunkten Unterschied er gewonnen hatte. ... Die entscheidenden Faktoren für den Putsch waren der Status, den die Ureinwohner erreicht haben, die Verstaatlichung von Erdgas und die Schließung von US-Stützpunkten.“
Nun kann das Big Business Bolivien erobern
Morales hatte die Bodenschätze Boliviens zum nationalen Eigentum erklärt. Mit seinem Sturz dürften nun Weltkonzerne Zugriff auf die gewaltigen Lithium-Lagerstätten des Landes bekommen, prognostiziert Iswestija:
„Morales' Regierung war gegenüber ausländischen Konzernen immer vorsichtig und hatte bislang nur technische Empfehlungen angenommen. Jetzt öffnet sich ein Weg für die Westunternehmen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die linke Morales-Regierung bei der Wahl von ihrem Hauptkonkurrenten abgelöst, dem prowestlichen Carlos Mesa. Zweifellos wird dieser die Gesetzeslage so ändern, dass Ausländer wie in früheren Zeiten wieder die Förderung von Bodenschätzen in Bolivien kontrollieren und den Löwenanteil der Einnahmen daraus vereinnahmen können. Zumal das Lithium-Business heutzutage gewaltiges Geld verspricht.“
Ein Verfassungsbruch nach dem anderen
Evo Morales hat sich mehrfach über die Verfassung hinweggesetzt, die unter anderem nur zwei aufeinanderfolgende Präsidentschaftsmandate erlaubt, kritisiert Corriere del Ticino:
„Schon 2014 verhöhnte der ehemalige Gewerkschaftsführer der Coca-Bauern diese Regel, als er zum dritten Mal antrat. ... Noch gravierender aber war seine Entscheidung im vergangenen Oktober für eine vierte Amtszeit zu kandidieren. Denn er ignorierte schlichtweg das Ergebnis des Referendums, das er selbst 2016 einberufen hatte. Das Volk sollte entscheiden, ob es damit einverstanden sei, die Begrenzung der Mandate aufzuheben. Das Nein siegte. Doch der ehemalige Gewerkschafter dachte, dass nur seine Gegner die Gesetze zu befolgen hätten, und präsentierte sich für eine vierte Amtszeit.“
Politik ist hinter veralteter Ideologie verschanzt
Der oft gehörte Befund, die Menschen in Südamerika protestierten wegen der sozialen Ungleichheit, greift viel zu kurz, stellt der Deutschlandfunk fest:
„Wenn es etwas gibt, was die verschiedenen Krisenherde in Südamerika gemeinsam haben, dann ist es die tiefgreifende Spaltung der Gesellschaft. Ein immer tieferes Misstrauen gegen die Machthaber - egal ob politisch rechts oder links. Auch dafür lassen sich je nach Land unterschiedliche Gründe finden. Doch was sie gemeinsam haben: Es gibt keine Mitte. Kein Streben nach politischem oder gesellschaftlichem Ausgleich, keinen Kampf um die Mittelklasse, um die aufstrebenden Bürger - die es auch in Südamerika gibt. Die Politik verschanzt sich wie blind hinter ideologischen Barrikaden, die in anderen Teilen der Welt längst eingerissen sind.“