"Sardinen" mischen Italiens Politik auf
Zehntausende Menschen sind am Samstag in Rom gegen den Rechtspopulismus auf die Straße gegangen. Die Kundgebung auf der Piazza San Giovanni war der bisherige Höhepunkt der erst vor einem Monat aus Protest gegen die Lega-Partei entstandenen "Sardinen"-Bewegung. Italiens Presse debattiert, was die Anziehungskraft der Proteste ausmacht und wie diese langfristig politische Wirkung entfalten können.
Gemäßigt, verständlich, erfolgreich
Die Forderungen der Sardinen sind von beispielhafter Klarheit und Einfachheit, lobt Kolumnist Gad Lerner in La Repubblica:
„Abgeordnete sollen ihre Mandate in den dafür vorgesehenen Institutionen ausführen, die Minister über ihre Pressebüros kommunizieren. Die für die Propagandamaschinerie in den sozialen Netzwerken ausgegebenen Beträge sollen öffentlich gemacht, verbale Gewalt mit physischer Gewalt gleichgesetzt und die Sicherheitserlasse der Vorgängerregierung aufgehoben werden. Und wir Journalisten werden angemahnt, faktengetreu zu berichten. Das sind präzise und einfach umzusetzende Forderungen. Eine Lektion in Klarheit und Mäßigung, die auf der Piazza San Giovanni mit fantasievollen Slogans wie 'Unsere Rückengräte ist die Verfassung' oder 'Besser in Öl als im Hass' gewürzt wurde.“
Jetzt brauchen die Sardinen einen Hafen
Der Philosoph Paolo Flores d'Arcais fordert die Sardinen in HuffPost Italia auf, bei den kommenden Regionalwahlen aktiv mitzumischen:
„Die Sardinen wissen sehr wohl, dass sie die entscheidende Klippe nicht mehr lange umschiffen können, nämlich, dieser außerordentlichen Energie auch eine politische Identität geben zu müssen. Sie bitten um Geduld, denn sie wollen dorthin 'auf einem gemeinsamen Weg' gelangen. … Doch die Politik gewährt bei der Wahl der Tempi selten große Freiheit. In der Pressemitteilung der Sardinen wird immer wieder auf die Bedeutung der bevorstehenden Regionalwahlen in der Emilia Romagna und Kalabrien hingewiesen. ... Zwei heikle Wahlen, die entscheiden könnten über Sieg oder Niederlage jener Kräfte des Hasses und der Ausgrenzung, gegen die sich die Sardinen formiert haben. Eine von den Sardinen unterstützte Bürgerliste könnte den Unterschied machen.“
Endlich strömen Menschen wieder auf die Plätze
Politik wird wieder zu einer physischen Geste, freut sich der Kommunikationssoziologe Massimiliano Panarani in La Stampa:
„Nach der digitalen direkten Demokratie (und vor allem ihrer Rhetorik) erlebt die Politik eine - bei weitem nicht vorhersehbare - Wiederkehr der Agora voller Menschen aus Fleisch und Blut. ... Unterschiedliche Bewegungen entdecken (etwas überraschend, angesichts des Zeitgeistes), dass das Volk nicht exklusiv vom Populismus beansprucht werden muss. ... Der Körper auf dem Platz, das ist eine primäre und elementare biopolitische Geste, die versucht, die Lücke zu schließen, die sich aus der Unzufriedenheit mit dem bestehenden Parteienangebot ergibt. ... Sie prangert ein Defizit bei der Repräsentation an, doch auf eine andere Weise, als dies die populistischen Optionen tun.“
Die Vorzüge der Sardine
Die Anti-Salvini-Bewegung hat mit der Sardine das richtige Symbol gewählt, lobt Schriftsteller Tahar Ben Jelloun in Le Point:
„Die Sardine ist ein beliebter Fisch. Sie ist nicht teuer und enthält vor allem viel Omega 3. Sie ist sehr gesund. Zudem taucht sie nie allein auf. Sie ist immer dicht bei anderen Sardinen. Sie ist ein solidarischer Fisch. Es hat ausgereicht, dass jemand in der Menge ruft: 'Wir sind Sardinen, die den Faschismus ablehnen', damit sich alle Demonstranten in der Ablehnung von Rassismus und Extremismus solidarisch fühlen. … Sardinen sind nicht korrupt, fressen (grundsätzlich) keine kleinen Fische, liefern wertvolle Nährstoffe für die Gesundheit des Menschen. Sie sind also ein Ausdruck hoher Qualität. Das Fehlen eines Anführers ist ein Zeichen der Zeit.“
Neuer sanfter Stil macht Salvini Angst
Die Demonstranten ticken zum Glück nicht wie die traditionelle Linke, frohlockt Kolumnist Francesco Merlo in La Repubblica:
„Die Sardinen machen Salvini Angst, weil sie endlich Linke sind, die nicht versuchen, Angst zu machen. Dabei ist es spannend zu beobachten, wie sich dieser sanfte neue Stil des Protestes von Bologna bis Palermo ausbreitet und desorientierend wirkt - und zwar nicht nur bei Salvini - gerade weil er keine Konflikte sucht. ... Die Sardinen haben sich über Facebook organisiert, aus Notwendigkeit und dem Instinkt heraus, und tatsächlich haben sie noch keinen Führer. Genau wie die Jugendlichen der Fridays for Future. Sie gehen auf die Straße, ohne Volkstribune und Demagogie.“
Schirmherrschaft des PD wäre hinderlich
Der Erfolg der "Sardinen" zeigt, dass eine demokratische Mobilisierung nur ohne die etablierten linken Parteien gelingen kann, konstatiert Chefredakteur Paolo Flores d'Arcais im Magazin MicroMega:
„Vier Freunde und ein progressiver Appell im Internet können eine Initiative schaffen. Hätten sie eine Partei (den PD, wen sonst) einbezogen, die als organisierte politische Kraft einen Mehrwert bieten könnte, wäre es ein Flop gewesen. Der PD ist für eine demokratische Mobilisierung kein Mehrwert, sondern ein Klotz am Bein, ein Handicap, das das Scheitern garantiert. Aus einem ganz einfachen Grund: Der PD ist völlig in Verruf geraten. ... Die Partei wird (bewusst oder unbewusst, aber zu Recht) als integraler Bestandteil des Establishments erlebt, als ein 'die da oben', das sich von der aktiven Bürgerschaft entfernt hat, kurz gesagt: als ein Teil der Kaste.“