Kindesmissbrauch: Ermittlungen gegen Autor Matzneff
Die Pariser Staatanwaltschaft ermittelt gegen den Schriftsteller Gabriel Matzneff. Grund ist das jüngst erschienene Buch der Verlegerin Vanessa Springora. Darin wirft Springora Matzneff vor, sie mit etwa 14 Jahren zu einer Beziehung verführt zu haben, als er selbst um die 50 war. Der Schriftsteller hatte in der Vergangenheit keinen Hehl daraus gemacht, dass er sich von Minderjährigen angezogen fühlt. Wie bewerten französische Medien den Fall?
Schluss mit Entschuldigungen
Das Verhalten Matzneffs darf nicht damit entschuldigt werden, dass damals eine andere Zeit gewesen sei, betont Sozialwissenschaftlerin Eglantine Jamet in Le Temps:
„Das ist ein bestürzendes Argument, mit dem man alles rechtfertigen könnte: Sklaverei, Nazismus und so weiter. Zudem ist es eine Verzerrung der Realität. Ja, es gab ein kleines Milieu von Künstlern und Literaten, das solche Ideen unterstützte, aber das war keineswegs repräsentativ. Es zeichnet sich erneut eine enorme Kluft zwischen Elite und Gesellschaft ab. … Wenn wir nicht weiter alle paar Monate in Entsetzen geraten wollen wegen neuer Entdeckungen sexueller Gewalttätigkeiten und der Straflosigkeit mancher Personen, wäre es vielleicht an der Zeit, aufzuhören, Entschuldigungen zu finden. Es wäre an der Zeit, uns der Wirklichkeit zu stellen, Verantwortung zu übernehmen und vor allem anders zu erziehen.“
Neues Verbrechen erfunden
Das verspätete Belangen des Literaten ist für Charles-Henri d'Elloy nicht hinnehmbar. In seinem Leitartikel für das rechte Portal Boulevard Voltaire schreibt er:
„Was ich nicht ertrage, ist, dass man hier einen betagten Mann lyncht und Stimmen zu seiner Verteidigung in diesen Zeiten, in denen das Gesetz bewunderndes Nachpfeifen auf der Straße bestraft, ungehört verhallen. Es gibt Schlimmeres als Laster, nämlich die lebenslängliche Verfolgung. ... Unsere Epoche hat ein neues unverjährbares Verbrechen erfunden: die rückwirkende Sittenwidrigkeit. Gabriel Matzneff wurde für die Schandtaten, für die er von seinen Verächtern angeprangert wird, wohlgemerkt nie gerichtlich verurteilt. Da sie Oscar Wilde, [André] Gide, Thomas Mann, [Jean] Cocteau, [Henry de] Montherland nicht haben verklagen können, stürzen sich die Amateurstaatsanwälte nun auf Gabriel Matzneff.“