SARS-CoV-2: Italien macht dicht
Um die Ausbreitung des neuartigen Coronaviruseinzudämmen, hat Italiens Regierung am Dienstag das ganze Land abgeriegelt. Am Sonntag waren zunächst nur 15 Provinzen im Norden zur "roten Zone" erklärt worden. Öffentliche Einrichtungen sind geschlossen, Sportveranstaltungen ausgesetzt. Die Zahl der Todesfälle stieg indes auf über 460. Kommentatoren geben den Bürgern eine Mitschuld an der Situation.
Einmalig in der Geschichte
Endlich greift Italien zu radikalen Maßnahmen für die Gesundheit aller Bürger, lobt La Repubblica:
„Zum Schutz dieses 'primären und universellen Guts', wie der Premierminister sagte, der endlich die richtigen Worte fand, das wir alle die Pflicht haben zu verteidigen und dabei sogar das zu opfern, was uns am teuersten und kostbarsten ist: unsere tägliche Freiheit … Es ist eine Entscheidung, die in der Geschichte keinen Präzedenzfall hat. ... Und nicht nur in der italienischen. Kein anderes Land der Welt hat sich jemals innerhalb seiner Grenzen verschlossen, die Bewegung innerhalb des Landes blockiert, alle Formen von öffentlichen Versammlungen und privaten Demonstrationen verboten, Stadien und Museen, Kinos und Theater, Unternehmen und Firmen geschlossen. Aber die Gründe für diese Schocktherapie sind klar und objektiv. Die Infektion verlangsamt sich nicht, sondern breitet sich aus.“
Wer nicht hören will...
Die Maßnahme war notwendig, weil die Italiener zu undiszipliniert sind, um den Vorschiften zu folgen, schimpft HuffPost Italia:
„Während des Treffens mit allen Präsidenten der Regionen zeigte der [für die Regionen und Autonomie zuständige] Minister Francesco Boccia mit versteinerter Miene ein Angebot des Skigebietes von Abetone [Toskana] vor: 'Schulfrei. Kommt alle und fahrt für einen Euro Ski'. Die Präsidenten der Regionen gaben daraufhin zu, dass gerade in diesen Tagen viele Menschen die Virus-Ausgangssperre als Urlaub interpretiert haben: Mailänder, die in Südtirol Ski fahren, Ligurer in der Toskana, Jugendliche, die weiterhin in Lokale gehen, ohne die Regeln des Abstands und der Vorsicht zu beachten. Die Lähmung der Nation ist somit auch eine notwendige Folge mangelnden Bürgersinns: Ein von der Staatsmacht auferlegter Gehorsam, um das Fehlen eigener Verantwortung auszugleichen.“
Mangelnde Glaubwürdigkeit rächt sich
In Italien fehlt auch das Vertrauen in die Politik, meint die regierungsnahe Magyar Hírlap:
„Vielleicht spiegelt sich der Ansehensverlust der Politik in der aktuellen Situation in Italien wider. Der durchschnittliche Italiener verwendet die meiste Energie nicht darauf, sich an die Regeln zu halten, sondern eher darauf, sich an den Vorschriften vorbeizumogeln. Nicht, weil er ein geborener Steuerbetrüger oder ein Schurke ist, sondern weil er Jahr für Jahr die Erfahrung macht, dass er beim Spiel immer wieder verliert. In der aktuellen gesundheitlichen Notfallsituation hat man die Bevölkerung daher offenbar vergeblich aufgefordert, sich möglichst zu Hause aufzuhalten und jegliche Kontakte, die die weitere Verbreitung des Virus ermöglichen, zu vermeiden.“
Angst ist nicht immer ein guter Ratgeber
Kaum sickerte die Nachricht der Abriegelung durch, stürzten viele Menschen in den Mailänder Hauptbahnhof, um die Sperrzone zu verlassen. So unverantwortlich das Verhalten ist, sollte man dennoch Verständnis aufbringen, erklärt Kolumnist Antonio Polito in Corriere della Sera:
„Hören wir auf, uns gegenseitig zu beschuldigen. Wir alle machen Fehler, einige große. Sonst wären wir nicht an diesem Punkt. Aber wir alle haben eine Rechtfertigung: Angst. ... Dem Virus mit ostentativem Optimismus zu begegnen, macht keinen Sinn. Es ist besser, es zu fürchten. Und sich zu isolieren. Die im Süden Geborenen, die nachts mit dem Zug nach Hause fahren, haben sicherlich Unrecht. Sie nehmen das Risiko in Kauf, das Virus zu Verwandten und Freunden zu bringen, in Gemeinden, die bisher relativ immun dagegen waren. Doch fliehen sie vor der Gefahr, allein zu sein, vielleicht krank zu werden, fern von zu Hause.“
Vernünftig handeln, Einschränkungen akzeptieren
Um noch drastischere Maßnahmen zu verhindern, sind jetzt die Bürger gefragt, mahnt Kolumnist Luigi La Spina in La Stampa:
„Der Feind ist heimtückisch, aber er ist nicht unbesiegbar, denn die Gefahr liegt nicht so sehr in der Tödlichkeit der Krankheit, sondern darin, dass die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Ausbreitung es unserem Gesundheitswesen erschwert, die Kranken angemessen und rechtzeitig zu behandeln. … Wenn die Aufforderung, so weit wie möglich zu Hause zu bleiben, die sozialen Kontakte einzuschränken und die notwendigen Hygienevorschriften einzuhalten von unseren Bürgern nicht befolgt werden sollte, ist klar, dass die letzte, extreme Maßnahme die Verhängung einer allgemeinen Ausgangssperre wäre, die die gesamte Nation lähmen würde.“